Zu Shaksperes Unterschriften

Erst muss zunächst auf die Form einer Urkunde eingegangen werden. Eine Urkunde war ein sehr formales, fast formularhaftes Schriftstück mit verschiedenen Rubriken: habendum, tenendum, usw. Gehen wir gleich zum Ende, zu der Corroboratio oder der Beglaubigungsformel ganz am Schluss des Urkundentextes. Bevor der Schreiber diese Beglaubigungsformel schreiben konnte, musste er wissen, wie die Parteien zu beglaubigen beabsichtigten. Er musste also die Parteien fragen. Sie konnten das durch Anbringung eines Siegels (nicht unbedingt des eigenen Siegels; das Gewicht der Beglaubigung lag auf der Anbringung des Siegels). Dann lautete die Formel „set their seals". Untersiegeln, das Anbringen des Siegels, war auf jeden Fall erforderlich. Die Parteien konnten aber zusätzlich durch Unterschrift beglaubigen. Dann lautete die Formel „set their hands and seals". Gehen wir nun in der gebotenen Kürze die sechs Situationen durch.

Situation 1 und 2 - März 1613 - Die beiden Blackfriars-Urkunden

Es sind die Urkunden im Zusammenhang mit dem Kauf des Hauses im Blackfriars-Viertels (was nichts mit dem Blackfriars-Theater zu tun hatte, wie Bill Bryson in seiner Shakespeare-Biografie verkündet). Die Schlussformel lautet: „set their seals". „No hand". Also zur Beglaubigung nur das Siegel angebracht. Die „etablierte Forschung" will hier dennoch eine Unterschrift bemerkt haben, obwohl die immer auf der Urkunde geleistet wurde, nicht auf dem Pergamentstreifen, wo Shakespeares Namen steht. Dort konnte der Schreiber zur späteren Prüfung, welcher Partei welches Siegel angebracht hatte, den Namen des Untersieglers schreiben. Die abgekürzte Schreibweise des Namens Shakespeare legt den dringenden Verdacht nahe, dass der Schreiber selbst den Namen Shakespeare dort hingekritzelt hat. Die Parteien konnten natürlich auch selbst ihren Namen schreiben, doch das galt nicht als beglaubigende Unterschrift.

ABER die Namen der beiden anderen, der Treuhänder Shakespeares, sehen aus wie Unterschriften. Man fragt sich, wieso diese beiden nicht auf der Urkunde unterzeichneten.

Eine sinnfällige Erklärung erhält man, wenn man die Urkunde vom Februar 1618 betrachtet, mit der die Treuhand für eben dieses Haus übertragen wurde. Denn dort sieht man wieder die Namenszüge der beiden Treuhänder in gleicher Form, diesmal allerdings auf der Urkunde. Und diesmal lautet die Beglaubigungsformel „set their hands and seals".

Also wollten jetzt, wo Shakespeare nicht mehr dabei war, die Treuhänder auch durch Unterschrift beglaubigen.

Situation 3 - Juli 1605: Die Stratforder Zehnten

Parteien: William Shakespeare und Rafe Huband. Wieder muss der Schreiber die Parteien gefragt haben, wie sie beglaubigen möchten. Und wieder müssen sie geantwortet haben, sie wollten nur durch Anbringung des Siegels beglaubigen. Dementsprechend lautet die Beglaubigungsformel „set their seals". Dennoch setzte die andere Partei, Huband, seinen Namen eigenhändig auf den Pergamentstreifen, obwohl dies gesetzlich wirkungslos blieb.

Und Shakespeare? Man weiß es nicht, seine Ausfertigung ist verloren. Wir können jedoch davon ausgehen - siehe nächsten Fall -, dass er seinen Namen nicht geschrieben hat.

Situation 4 - Das Grundstück in Old Stratford

Parteien: einerseits William Shakespeare, anderseits die Brüder John und William Combe. Wieder muss der Schreiber die Parteien gefragt haben, wie beglaubigt werden sollte. Shakespeare konnte nicht antworten, denn er war abwesend (er wurde von seinem Bruder Gilbert vertreten). John und William Combe müssen geantwortet haben, sie wollten mit Siegel und Unterschrift beglaubigen. Die Beglaubigungsformel lautet „set their hands and seals". Die Unterschriften von John und William Combe befinden sich auf dem Pergamentstreifen, mit dem das Siegel an der Urkunde befestigt wurde.

Die Kopie, die Shakespeare hätte unterschreiben müssen, wurde sehr viel später aufgefunden.

Sie trägt keine Unterschrift.

Situation 5  - Mai 1612 : Die Zeugenaussage vor dem Gericht in London

Hier sieht man eine Unterschrift. Sie ist jedoch wieder nach der Art von Schreibern abgekürzt.

Situation 6 - März 1616: Das Testament

Hier sieht man drei wackelige Unterschriften. Weil, heißt es, Shakespeare todkrank war. Aber einige Monate vorher (möglicherweise noch früher) hatte er bereits sein Testament vollstreckungsbereit abfassen lassen, erfreute sich offenbar noch einer recht guten Gesundheit und wollte es nicht unterschreiben, sondern nur sein Siegel anbringen. Es stand da „set his seal", was später durchgestrichen wurde und durch „set his hand" ersetzt wurde. Etwas muss hier geschehen sein (wenn auch kein Grund zur Annahme besteht, es sei etwas gefälscht worden). Denn man hätte zwischen den Zeilen auch „hand" hinzufügen können. Das Testament hätte dann die übliche Beglaubigungsklausel aufgewiesen.

Man schaue sich die Testamente seiner Schaupielerkollegen oder gar Schrifstellerkollegen an. Oder gar eines jeden Schreibkundigen der Zeit. Die Formale lautet stets „set his hand and seal".

Nur ein gesunder Shakespeare zog es vor, nicht auch seine Unterschrift zu leisten!!

Oh nein, Zweifel sind nicht angebracht, dass jemand, der Mühe hatte, es tunlichst vermied, seine Unterschrift zu leisten, nicht in der Lage gewesen wäre, die Gedichte und die Stücke zu schreiben.

Und William Beeston, ein Schaupieler, wird viel später bestätigen, dass er in Verlegenheit geriet, wenn er aufgefordert wurde zu schreiben.

Aber die Frage hat die empirische Shakespeareforschung betrübt. Die Erklärungsversuche gehören ins Lächerlichkeitskabinett. So etwa, dass Shakespeare irrtümlich annahm, er müsse auf dem Pergamentstreifen unterzeichen.

© Robert Detobel, 2010