FULKE GREVILLE, LORD BROOKE (1554-1628)

Der Anspruch Fulke Grevilles ist vermutlich aus einer von der sogenannten „Shakespeare Clinic" (Ward Elliott und Robert Valenza) durchgeführten Computerstudie abgeleitet. Sie kamen zum Ergebnis, dass alle bisherigen Kandidaten auszuschließen seien, außer Shakespeare und möglicherweise Fulke Greville. Mit diesem Ergebnis fällen sie gleichzeitig das Todesurteil über ihre eigenen stilometrischen Methoden. Fulke Greville hat selbst ein ziemlich umfassendes Oeuvre hinterlassen, das 1632 postum herausgegeben wurde. Es enthält ein Sonettzyklus Celica, nach eigenen Angaben des Autors vorwiegend in den 1580er Jahren verfasst. Es handelt sich um 110 Gedichte, nicht um Sonette im strengeren Sinn des Wortes. Hier ein Beispiel:

Sonnet XLV

1.

Absence, the noble truce

(a)

Of Cupid's warre:

(b)

Where though desires want use,

(a)

They honoured are.

(b)

Thou art the just protection,

(c)

Of prodigall affection,

(c)

Have thou the praise;

(d)

When bankrupt Cupid braveth,

(c)

Thy mines his credit saveth,

(c)

With sweet delayes

(d)

 

2.

Of wounds which presence makes (a)
With Beautie's shot, (b)
Absence the anguish shakes, (a)
But healeth not: (b)
Absence records the stories, (c)
Wherein Desire glories; (c)
Although she burne, (a)
She cherisheth the spirits (b)
Where Constancy inherits (b)
And passions mourne. (a)

 

3.

Absence, like dainty clouds (a)
On glorious bright;  (b)
Nature's weake senses shrowds, (a)
From harming light. (b)
Absence maintains the treasure (c)
Of pleasure unto pleasure, (c)
Sparing with praise; (a)
Absence doth nurse the fire, (b)
Which starves and feeds desire (b)
With sweet delayes. (a)

 

4.

Presence to every part (a)
Of Beauty tyes, (b)
When Wonder rules the heart (a)
There Pleasure dyes: (b)
Presence plagues mindes and senses (c)
With Modestie's defences, (c)
Absence is free: (a)
Thoughts doe in absence venter (b)
Of Cupid's shadowed center, (b)
They winke and see. (a)

 

5.

But thoughts be not so brave, (a)
With absent joy; (b)
For you with that you have (a)
Your selfe destroy: (b)
The absence which your glory, (c)
Is that which makes you sory, (c)
And burne in vaine: (a)
For thought is not the weapon (b)
Wherewith thoughts-ease men cheapon (b)
Absence is paine. (a)

Note: cheapon = bid for, purchase (nachfragen, kaufen).

Das Gedicht, wie Grevilles übrige Gedichte, besitzt wenig von Shakespeares Musikalität. Im Gegensatz zu den folgenden beiden Strophen eines Liedertextes, das Greville als Vorlage gedient haben könnte:

Faction that ever dwells
In court, where wit excels
Hath set defiance:
Fortune and Love have sworn,
That they were never born
Of one alliance.
 Cupid, which doth aspire,
To be God of Desire,
Swears he gives laws:
That where his arrows hit,
Some joy, some sorrow it,
Fortune no cause.

Der Text ist von Edward de Vere. Eine Variation auf diesen Text befindet sich ebenfalls in Grevilles Gedichtesammlung. Er hatte es vor seinem Tod nicht zum Abdruck in der Ausgabe der eigenen Werke bestimmt; es war in der ersten Ausgabe auch nicht enthalten; es befand sich jedoch in seinem Nachlass und wurde von seinem literarischen Vollstrecker hinzugefügt, weshalb zwei Sonetten die gleiche Nummer zugewiesen ist.

Greville hat auch drei Tragödien geschrieben; eines, Antony and Cleopatra, vernichtete er nach der fehlgeschlagenen Essex-Rebellion im Jahr 1601; ein anderes, Mustapha, wurde 1608 ohne Erlaubnis gedruckt, ohne dass Greville dagegen etwas unternahm. Diese Stücke waren als politische Lehrstücke gedacht, nicht zur Aufführung auf der Bühne. Was Greville dazu selbst sagt, das haben Elliott und Valenza, die nicht ausschließen wollen, Fulke Greville hätte Shakespeares Stücke geschrieben, vergessen, in ihren Computer einzufüttern: „And if in thus ordaining, and ordering matter, and forme together for the use of life, I have made those tragedies, no Plaies for the Stage, be it known, it was no part of my purpose to write for them, against whom so many good, and great spirits have already written. " (Joan Rees, Fulke Greville, Lord Brooke, 1554-1628: A critical biography, London 1970, S. 142) ["Und indem ich den Stoff so wählte und ordnet, und für den Nutzen im Lebens gestaltete, habe ich jene Tragödien geschrieben, nicht als Bühnenstücke fürs Theater; es soll zur Kenntnis genommen werden, dass es nicht mein Ziel war, fürs Theater zu schreiben, gegen das bereits soviele gute und große Geister geschrieben haben."]

Woher will denn A. W. L. Saunders, der 2007 in seinem Buch The Master of Shakespeare (MoS Publishing, 2007) Grevilles Verfasserschaft behauptet, wissen, dass Greville der Nachwelt nur als „der Freund von Sir Philip Sidney" und „der Meister von Shakespeare und Ben Jonson" bekannt zu bleiben wünschte? „Freund von Sidney" steht auf seiner Gruft, aber woher kommt diese andere Information, für die sich in Grevilles Werk kein Nachweis und eher ein negativer Beleg (seine Verachtung fürs Theater) findet. Sie beruht auf einer Angabe in David Lloyds 1665 erschienenem Werk Statesmen and Favourites of England since the Reformation. Joan Rees schreibt:

„David Lloyd has this to say. 'One great argument for his [Fulke Greville's] worth, was his respect of the work of others, desiring to be known to posterity under no other notions than of Shakespeare's and Ben Johnson's Master, Chancellor Egerton's patron, Bishop Overal's Lord, and Sir Philip Sidney's friend.' The references to Shakespeare and Jonson whet the curiosity but unfortunately, as E.K. Chambers remarks, there is no evidence to support them. Conceivably, Chambers suggests, Greville might have found employment for Shakespeare in the Marches when he left Stratford. It is also possible that Lloyd may have heard some story spread by Davenant who as a young man was a member of Greville's household and who liked to claim kinship with Shakespeare. There may or may not have been some basis of truth for it. " (S. 42)

[David Lloyd hat Folgendes zu sagen. 'Ein wichtiges Argument für seinen Charakter war der Respekt, dem er das Werk von anderen erwies, und er wünschte sich, der Nachwelt nicht anders in Erinnerung zu bleiben als der Meister Shakespeares und Ben Jonsons, Kanzler Egertons Schirmherr, der Lord von Bischof Overal und der Freund von Sir Philip Sidney.' Die Erwähung von Shakespeare und Jonson reizt die Neugier, aber leider, wie E. K. Chambers bemerkt, existiert kein einziger Beweis, der die Aussage stützt. Denkbar sei, suggeriert Chambers, dass Greville für Shakespeare eine Beschäftigung in den Marches [Gebiete an der Mark oder Grenze zwischen Wales und England] gefunden hatte, wenn dieser Stratford verließ. Es ist auch möglich, dass Lloyd irgendeine von William Davenant in die Welt gesetzte Geschichte gehört hat, der als junger Mann Diener in Grevilles Haushalt war und es liebte, eine Verwandtschaft mit Shakespeare für sich zu beanspruchen. Es mag irgendeine oder es mag auch keine Grundlage für diese Aussage gegeben haben.]  

© Robert Detobel 2011