SHAKESPEARES NAMENSGEBUNG - HAMLET, DER VATER

In der Amlethus-Sage heißt der Vater Horwendil. In Shakespeares Tragödie erhält der Vater den gleichen Namen wie der Sohn. Wie im Beitrag zum Namen Claudius erwähnt, bedeuten Amlethus und Brutus dasselbe. Amlethus ist wie Brutus der Stumpfsinnige oder Verrückte. Während diese Bedeutung für Prinz Hamlet zumindest dem Anschein nach ihre Gültigkeit bewahrt, verliert sie diese vollends für den alten König Hamlet. Es kann nicht an der Bedeutung des Namens Amlethus liegen, dass Shakespeare Horwendil in Hamlet umbenennt.

Der Name des Urahns spielt aber eine wesentliche Rolle in der römischen Sage und nicht nur dort: auch in der römischen Geschichte darf die Wirkkraft der Sage nicht unterschätzt werden, zumal in der Endphase der römischen Republik, der nach der Ermordung Julius Caesars eine neue Chance zu erhalten schien. Einer der Mörder war Marcus Junius Brutus, der eigentlich nicht mehr Brutus hieß, da er von seinem Onkel mütterlicherseits Quintus Servilius Caepio nach dem Tod seines Vaters adoptiert worden war. Auch diese Tradition verpflichtete ihn zum Tyrannenmord, denn die Servilier führten ihre Abstammung auf Servilius Ahala, den Mörder des nach der Königsmacht strebenden Spurius Maelius, zurück.

Dabei handelt es sich um einen Gründungsmythos, nicht um authentische Geschichte. Theodor Mommsen hat in seinen Römischen Forschungen mit der historischen Wahrheit der römischen Sagen gründlich aufgeräumt. Dennoch kommt er nicht um die Feststellung umhin, dass diese mythisch verklärten Traditionen der römischen Adelshäuser auch noch am Ende der Republik, und gerade dann, eine mächtige politische Wirkung entfalteten. „Das aber bleibt schließlich noch hervorzuheben, dass unter allen römischen Legenden keine in den späteren geschichtlichen Verlauf so unmittelbar und so verhängnisvoll eingegriffen hat wie die Erzählung von der That des Ahala. Es gehört zum Wesen der römischen Entwickelung, dass die Ueberlieferung von den Thaten der Vorfahren, einerlei ob Wahrheit oder Fabel, das Handeln der Nachkommen wesentlich bestimmen half und die Präcedentien und Ueberlieferungen hier eine Rolle spielen wie nirgends sonst. Diese Erzählung lehrte, vor allem in ihrer ursprünglichen, aber auch noch in de späteren abgeschwächten Form, dass die Tödtung, auch wenn sie in der Form des Meuchelmordes sich vollzieht, Bürgerrecht und Bürgerpflicht sei; und dieser Lehre gehorchend hat jenes Mörders Enkelsohn Brutus den Dictator Caesar getödtet. Dass er durch diese geschichtliche und geschlechtliche Erinnerung mit zum Morde getrieben wurde, ist eine erwiesene Thatsache; und wenn die That des Ahala so wenig Geschichte ist, wie die constantinische Schenkung und die isidorischen Decretalen Urkunden, so hat sie dafür Geschichte gemacht wie kaum ein historischer Vorgang." (Theodor Mommsen, Römische Forschungen, Berlin 1879, S. 217-8).

Fälschungen und Mythen schreiben also manchmal dauerhaftere Geschichte als Wissen, vermutlich weil es gerade nicht das Ziel des Mythos ist, Geschichte zu schreiben wie sie sich vollzieht, sondern wie man glaubt, dass sie sich vollziehen sollte. Das gilt natürlich auch für den Gründungsmythos der römischen Republik, in dem die zentrale Figur Lucius Junius Brutus ist, der Urahn des historischen Marcus Junius Brutus, des Caesarmörders. Der historische Brutus wird später wieder den Gensnamen Brutus annehmen. Es ist vor allem diese Abstammung, welche nach Plutarch, Shakespeares Quelle für Julius Caesar, beschworen, um Brutus zu bewegen, sich der Konspiration gegen Caesar anzuschließen, und nicht die Verwandtschaft mit dem Geschlecht der Servilier. Diese Tradition wurde selbstverständlich über die Väter weitergereicht. Der historische Brutus fühlte sich moralisch verpflichtet, im Geiste seines Urahns und folglich auch seines Vaters zu handeln. Und hier handelt es sich nicht so sehr um eine nordgermanische denn um eine römische Tradition. Am Anfang der Sagen in den Gesta Danorum des Saxo Grammaticus steht das bloße Faktum: der Vater ist ermordet worden. Die Folge ist ebenfalls ein Faktum: er muss gerächt werden. Von einem Handeln „im Geiste des Vaters" ist dabei nicht oder kaum die Rede. Dieses Handeln im Geiste des Vaters kümmert und bekümmert Hamlet nicht weniger als die schiere Rache, denn seine wesentliche Künstlernatur steht der Identifikation mit dem Vater im Wege. Eine Identifikation mit dem toten Vater bleibt bei der dänischen Sage, die in die Form eines Initiationsrituals abläuft, außen vor. Indem Shakespeare die Identifikation zum Bestandteil von Hamlets seelischer Krise macht, führt er, wie ja auch durch den Namen Claudius, ein römisches Element in die dänische Sage ein, nämlich den Geist des Vaters, und zwar als leibhaftigen Geist, und auch dadurch, dass er dem Vater den gleichen Namen gibt wie dem Sohn, wie es über Generationen hinweg durch den Gens- oder Geschlechtsnamen in Rom der Fall war.

© Robert Detobel 2010