Alle bekannten Portraits

 

                  The painting is almost the natural man;

                                   Timon von Athen, I. 1

 

 

 

Ein neues Portrait?

Am 7. März 2009 brachte Times-Online die Meldung über ein angeblich neu entdecktes Shakespeare-Portrait. Die Meldung ging in den folgenden Tagen durch die Medien und es wurde darüber auch in vielen deutschen Zeitungen berichtet. Stanley Wells, Präsident (Chairman) des Shakespeare Birthplace Trust in Stratford, emeritierter Professor für Shakespeare-Studien der Universität Birmingham, und Alec Cobbe, Besitzer des Portraits, präsentierten das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert mit der Behauptung, dass es sich mit „größter Sicherheit" (Stanley Wells sprach von „90 %") um das erste und einzige authentische Bild des Dichters handeln würde, das noch zu seinen Lebzeiten gemalt worden sei.

Die Präsentation wurde medienwirksam inszeniert und noch dadurch unterstrichen, dass das Bild ab dem 23. April in Stratford upon Avon öffentlich ausgestellt wird.

Handelt es sich wirklich um den bedeutsamen Fund für die Shakespeare-Forschung, für den es ausgegeben wird? Es regte sich bald Widerspruch:

Tarnya Cooper, Kuratorin für das 17. Jahrhundert an der National Portrait Gallery in London, betont, dass sie zwar Stanley Wells als Wissenschaftler auf seinem Gebiet außerordentlich respektiere, dass aber Portraitmalerei etwas davon völlig Verschiedenes sei und hier etwas nicht stimme. Sie könne seinem Hauptargument nicht folgen und zeigte sich äußerst skeptisch.

Die National Portrait Gallery hatte 2006 anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens die Ausstellung „Searching for Shakespeare" gezeigt. Es waren etliche Portraits zu sehen, die im Laufe der Zeit -  aus welchen Gründen auch immer - in eine Beziehung zu Shakespeare gestellt worden sind.

Ein allgemein anerkanntes Shakespeare-Portrait als Gemälde gibt es nicht. Die weltbekannte Abbildung in der Folio-Ausgabe von Martin Droeshout ist als (Kupfer-)Stich nur in den gedruckten Exemplaren vorhanden.

Ausgestellt war auch das sog. Jansen-Portrait

aus dem Besitz der Folger Shakespeare Libary in Washington. Bei einem Besuch der Ausstellung fiel Alec Cobbe eine Ähnlichkeit zu einem Bild im Besitze seiner Familie auf. Er hielt dies Bild nun für die originale Vorlage nach der das Jansen-Portait gemalt bzw. kopiert worden sei, und fand in Stanley Wells einen Unterstützer dieser Einschätzung.

Das Jansen-Portrait war vor längerer Zeit für ein Shakespeare-Portrait gehalten worden. Es wurde aber 1988 durch ein Röntgenbild nachgewiesen, dass der Abgebildete ursprünglich eine volle Haartracht hatte, die im 18. oder 19. Jahrhundert übermalt worden war, vermutlich um eine Ähnlichkeit mit dem Droeshout-Portrait zu erzielen. Möglicherweise ist darauf Sir Thomas Overbury dargestellt. (In einigen Zeitungen war zu lesen, der Dargestellte sei Sir Walter Raleigh, ernst zu nehmende Gründe dafür wurden nicht genannt).Tarnya Cooper hält beide Bilder für Portraits von Sir Overbury. Der Behauptung von Wells, das Cobbe-Portrait sei das Original, das Jansen-Portrait die Kopie und beide würden Shakespeare darstellen, lehnt sie als nicht schlüssig ab.

Sir Thomas Overbury?

Das Cobbe-Portrait galt lange als ein Bild von Sir Thomas Overbury. Es gelangte über verwandtschaftliche Beziehungen in den Besitz der Cobbe-Familie und soll ursprünglich Henry Wriothesley, dem 3. Grafen von Southampton, gehört haben. Hier knüpfen Cobbe und Wells ihr Argument an.

Shake-Speare's Vers-Epen („Venus und Adonis" und „Lucretia") sind dem Grafen von Southampton gewidmet. Ferner wird von vielen mit guten Gründen angenommen, dass der in Shake-Speare's Sonetten angesprochene Jüngling Henry Wriothesley sei.

Der Schluss, der Graf von Southampton habe ein Portrait von Shakespeare besessen, ist aber mehr als gewagt: Charlotte Carmichel Stopes hat jahrelang nach der Beziehung zwischen Shakespeare und Southampton geforscht. Das Ergebnis ist eine detaillierte Biographie des Grafen. Shakespeare kommt darin aber nicht vor, weil sich darüber nichts finden ließ. Trotz intensivster Suche konnte niemals irgendeine Beziehung oder ein Kontakt zwischen Shakespeare und ihm nachgewiesen werden. Die Behauptung, Southampton sei sein Patron (Förderer, Gönner) gewesen, ist reine Spekulation. Die ganze Theorie gründet sich also lediglich auf die beiden Widmungen. Dass diese aber in eine ganz andere Richtung weisen, blieb unbeachtet (s. unten).

Robert Brazil (elizaforum) weist nun auf das hin, was Cobbe und Wells nicht berichten:

Es gab eine enge Beziehung zwischen Southampton und Overbury.

Overbury, Neville und Wriothesley wurden nach der Essex-Rebellion (1601) gemeinsam verhaftet. Overbury starb 1613 als Gefangener im Tower, er war beschuldigt worden, König Jakob beleidigt zu haben. Später wurde bekannt, dass er ermordet worden war. Sein zwischenzeitlich zweifelhafter Ruf wandelte sich wieder und er wurde berühmt. Es ist viel naheliegender, dass Southampton ein Portrait von ihm besaß.

Das Cobbe-Portrait trägt über dem Kopf die Aufschrift „principum amicitias". Es handelt sich um eine verkürzte Fassung von „Gravisque principum amicitias" - ein Zitat aus den Oden des Horaz: „Unglück folgt aus Beziehungen mit Fürsten" oder „Schwere Folgen aus der Freundschaft mit den Mächtigen". Dies trifft genau das Schicksal von Overbury, für Shakespeare ergibt es keinen Sinn.

Ein Vergleich eines Portraits von Overbury (des Portraitisten Gheeraerts) mit dem Cobbe- Portrait, den Robert Brazil vorweist, hat einiges für sich, kann aber nicht völlig überzeugen.

Die große Ähnlichkeit des Cobbe mit dem Jansen lässt noch eine ganz andere Vermutung aufkommen. Schon 1940 hat Charles Wisner Barrell im Scientific American aufgrund von Röntgenuntersuchungen nachgewiesen, dass sowohl das Jansen- wie das Ashburne-Portrait (s. unten) durch Übermalungen stark verfremdet worden sind. Beide Portraits galten ursprünglich als Shakespeare-Portraits. Was bedeutet das aber für das fast identische Cobbe? Hier bietet sich noch eine ganz andere Deutung als Overbury an... (s. unten Ashborne) Das Cobbe-Portrait wurde restauriert und angeblich in den "ursprünglichen Zustand" versetzt. Welcher Zustand ist das? Eine Gegenüberstellung des "Vorher" und „Nachher" wurde der Öffentlichkeit nicht präsentiert. Auch die Röntgenaufnahmen sind nie veröffentlicht worden. Warum nicht? In der kunstgeschichtlichen Forschung ein unglaublicher Vorgang. Auch die Verkürzung des Horaz-Zitates (vermutlich ist es eine spätere Übermalung) verkehrt den Sinn in sein Gegenteil. Heißt es doch jetzt nur „Freundschaft mit den Mächtigen". Von dem Problem, das es bietet, steht ja nichts mehr da. Auch das passt zur Deutung Overbury nicht.  

Argumentationslinien

Weitere Einwände beziehen sich auch auf ein anders auffallendes Detail:

Währen das Jansen-Portrait (ursprünglich) und das Cobbe-Portrait (heute sichtbar) eine Person mit dichter Haartracht zeigt, fehlt diese  - wie allgemein bekannt  - auf dem Droeshout-Stich in der Folio-Ausgabe. Warum stellt Droeshout aber den Dichter kahlköpfig dar, wenn die „Vorlage" (das Cobbe) ihn anders zeigt?

Alec Cobbe bietet folgende Erklärung:

Das Bild wird auf 1610 datiert. Zu der Zeit hätte Shakespeare (aus Stratford) im Alter von 46 Jahren noch das volle Haar gehabt, innerhalb von sechs Jahren wäre er kahlköpfig geworden. Ein nach dem Leben gemaltes Bild wäre dann in der Mitte des 17. Jahrhunderts übermalt worden, um es dem Droeshout ähnlich zu machen. Das war dann das Jansen-Portrait. Aber dennoch behauptet er, dass Droeshout nach dem unveränderten Cobbe gearbeitet hätte!

So etwas gehört eher in den Bereich von Satire oder der Komödie. Die Argumentation passt zu einem Dogberry (Holzapfel) aus „Viel Lärm   und nichts" oder zu Schädel (Costard) aus „Verlorene Liebesmüh"!

Katherine Duncan-Jones, Mitherausgeberin der Shakespeare Arden-Ausgabe und weltweit anerkannte Shakespeare-Forscherin, hat dann in Times Literary Supplement (Ausgabe der Woche vom 16. März) auch dazu Stellung genommen. Die Aussagen von Robert Brazil finden darin eine vollständige Bestätigung. Sie stellt mit Bedauern fest, dass die Meldung, die Stanley Wells als hoch angesehener Shakespeareforscher zu verantworten hat, sehr weit verbreitet wurde. Sie lehnt die Aussage vollkommen ab. Ihre Argumente beziehen sich auf die Geschichte der Portraitmalerei, insbesondere die der hier genannten Gemälde und ihre Herkunft und auf die Biographie von Sir Overbury, die sie detailliert referiert.

Der Dargestellte sei Sir Overbury, eine andere Interpretation hält sie für ausgeschlossen. Ein Leserkommentar im Times Literary Supplement: „Bei Duncan-Jones' schneller Widerlegung von Wells' leichsinniger Ankündigung bleibt die Frage, was Wells dazu brachte, sein Ansehen mit so einer fadenscheinigen Begründung zu riskieren."

Übersehene Details

Mit Recht ist oft in Frage gestellt worden, ob das Droeshout-Portrait den Dichter richtig darstellt. Die erste Folio-Ausgabe erscheint 1623, lange nach Shakespeares Tod. Martin Droeshout kann den Dichter nicht gekannt haben (allenfalls noch als Kind, aber das ist unwahrscheinlich). Welche Vorlage hatte er?

Es ist aber nicht nur zweifelhaft, ob das Droeshout-Portrait Shakespeare richtig darstellt, es ist auch fraglich, ob es ihn überhaupt darstellen soll! Dies aus drei Gründen:

Ben Jonson schrieb in der Folio zu dem Portrait

This figure that thou here seest put,
It was for gentle Shakespeare cut;

Die Wortwahl figure ist sehr ungewöhnlich, und es heißt for und nicht of.

Des weitern schrieb Ben Jonson, dass der Kupferstecher nur ein unvollkommenes Bild schaffen konnte, und deshalb rät er:"reader, look, not on his picture but his book." Man sollte Ben Jonsons Empfehlung folgen und um den wahren Autor zu finden nicht auf das Bild, sondern in sein Buch schauen. Jedenfalls ist es Hinweis genug, dass man sehr vorsichtig mit der Aussagekraft des Bildes umgehen muss.

Droeshout gibt durch eine Linie vom Ohr zum Kinn dem Betrachter zu verstehen, dass es sich um eine Maske handelt. Diese Linie ist nicht auffallend, aber auf guten Reproduktionen unübersehbar. Siehe 10 Fragen.

Das Wams ist nicht symmetrisch, sondern es zeigt in ganz ungewöhnlicher Weise auf einer Seite die Rückenansicht. D. h., es wird so dargestellt, als ob man auf einer Seite in einen hinter der Gestalt stehenden Spiegel blicken würde. Der Dargestellte erhält dadurch etwas Janushaftes, für ein seriöses Portrait eine Unmöglichkeit!

Es ist ausgeschlossen, diese Details der Laune des Künstlers zuzuschreiben und anzunehmen, die Auftraggeber (dazu siehe unten) hätten das unbemerkt geduldet. Es kann dies nur mit Absicht dargestellt worden sein.

Das Ergebnis ist, dass hier gar kein authentisches Bild des Dichters vorliegt!

Ben Jonsons Zeilen warnen den genauer hinsehenden Betrachter und die beschriebenen Bildelemente weisen deutlich darauf hin, dass sich das wahre Gesicht hinter einer Maske verbirgt und man gleichsam durch den Spiegel schauen muss, um die wahre Person zu erkennen.

Warum verschweigen die meisten Shakespeare-Biographien dies? Kein Kunsthistoriker dürfte es sich erlauben, diese Details bei einer ernsthaften Bildinterpretation zu übergehen.

Das Marshall-Portrait von 1640

eine Replik des Droeshout-Portraits und diesem sehr ähnlich, enthält diese Details zwar nicht, aber darunter die rätselhafte Schrift:

This Shadow is renowned Shakespeare's?

Herausgeber ist ein sonst kaum bekannter Jon Benson.

Maske, Spiegel, Schatten: es sind die Symbole des Verbergens:

Komm holde Sonn', als Spiegel mir zu statten
Und zeige, wenn ich geh', mir meinen Schatten.

So spricht Gloucester, der spätere König Richard der Dritte, als er sich entschließt, sein wahres Wesen hinter einer Maske zu verbergen. Für William Shakspere aus Stratford gab es keinen Grund, sich hinter solchen Rätselhaftigkeiten (Maske, Spiegel, Schatten) zu verbergen.

Unbeabsichtigt haben Stanley Well und A. Cobbe durch die Präsentation ihres Bildes den Blick auf die Autorschaftsfrage gelenkt. Nach einer Vorlage für das Droeshout-Portrait als einem „nach dem Leben" gemalten Portrait zu suchen, erweist sich als ein von vorne herein vergebliches Unterfangen. Die Bedeutung und Aussage des Droeshout-Portraits der Folio wird nicht verstanden oder einfach übergangen.

...in such a questionable shape

Bei der Büste in der Stratforder Kirche wird gerne eine Ähnlichkeit mit dem Droeshout-Portrait gesehen. Aber auch diese Darstellung

kann nicht als authentisches Bild gelten. Es ist unbekannt, wann und von wem sie in Auftrag gegeben wurde. Die Behauptung, Shaksperes Witwe oder seine Tochter und sein Schwiegersohn wären die Auftraggeber, ist durch keine Zeugnisse, Dokumente oder Briefe belegt. Viel wichtiger ist, dass das Bildnis erhebliche Veränderungen erfahren hat. Die heute sichtbaren Symbole von Schreibfeder und Blatt sind später hinzugefügt worden. Dies geht eindeutig aus Vergleichen mit älteren Darstellungen hervor, auf denen diese Attribute noch fehlen.

Die Veränderungen erfolgten im späten 18. oder im 19. Jahrhundert, als die Skulptur restauriert und -  wie man heute weiß - verändert wurde. Die heutige Ähnlichkeit mit dem Droeshout-Portrait war ursprünglich nicht vorhanden, denn auch die Physiognomie ist auf den alten Darstellungen völlig anders wiedergegeben. Ausführlich dargestellt und mit umfangreichem Bildmaterial dokumentiert in: Diana Price, Shakespeare's Unorthodox Biography, Westport, Conn. und London, 2001, S. 153 ff.

Drei Widmungen

Die Gesamtausgabe von Shakespeares Dramen (First Folio) ist den beiden Grafen Pembroke und Montgomery gewidmet. Außer den beiden Widmungen seiner Vers-Epen an den Grafen von Southampton (s. oben) gibt es keine andern Widmungen in seinen Werken (mit Ausnahme der Sonette, die einem „W. H." gewidmet sind). Die Widmung an Pembroke und Montgomery erfolgte posthum. Hierzu ist zu bemerken, dass sich, wie bei Southampton, ein Nachweis eines Kontaktes von Shakespeare mit ihnen nicht erbringen ließ.

Es gibt aber andere Zusammenhänge:

Für Southampton war eine Heirat mit Oxfords Tochter Elisabeth geplant, Pembroke sollte Oxfords Tochter Bridget heiraten. Diese beiden Ehen wurden allerdings nicht geschlossen.

Montgomery, Pembrokes Bruder, hat Oxfords jüngste Tochter Susan geheiratet und ist also Edward de Veres Schwiegersohn.

Die Herausgabe aller Dramen durch die First Folio verlangte im 17. Jahrhundert einen ungeheurer großen finanziellen Aufwand. Die als Herausgeber genannten ehemaligen Schauspieler Hennings und Condel waren dazu niemals in der Lage. Es war vielmehr so, dass diejenigen, denen das Werk gewidmet wurde, auch die eigentlichen Träger des Projektes waren. Die große Nähe der Werke Shakespeares zu Edward de Veres Tochter, seinem Schwiegersohn und dessen Bruder wird allerdings in den üblichen Biographien niemals erwähnt, richtiger muss man sagen, dass sie immer verschwiegen wird.

Portraits und Portrait-Geschichten

Portraits, die Shakespeare zugeschrieben wurden, haben auch in der Vergangenheit schon mehrfach zu Fehleinschätzungen, aber auch zu interessanten Einsichten geführt. Das Flower-Portrait,

ein Ölgemälde, das dem Droeshout-Portrait sehr ähnlich sieht, ist eine leicht romantisierende Darstellung des 19. Jahrhunderts. Die deutsche Shakespeare-Forscherin Hildegard Hammerschmidt-Hummel erklärte jedoch, gegen jeden kunsthistorischen Sachverstand, dies im 19. Jahrhundert aufgetauchte Bild für echt und aus dem 17. Jahrhundert stammend. Es sei die eigentliche Vorlage des Droeshout-Portraits gewesen. Es ist auf einem alten Tafelbild gemalt, das unstrittig aus dem 15. Jahrhundert stammt. Dies ist aber bei Fälschungen oft geschehen, um durch das Alter der Tafel die Echtheit des übermalten Gemäldes glaubhaft zu machen. Die ursprüngliche Tafel ist ein Marienbild. Frau Hammerschmidt-Hummel knüpft daran die These, dass Shakespeare Katholik gewesen sei (!), und baut dann auf 280 Seiten eine abenteuerliche Theorie auf, die als wissenschaftliche Untersuchung im Herder-Verlag erschien. (H. Hammerschmidt-Hummel, Die verborgene Existenz des William Shakespeare, Freiburg 2001.) Die Geschichte fiel dann in Nichts zusammen und nahm als geplatzte Seifenblase ein etwas lächerliches Ende, als 2005 von der National Portrait Gallery das Portrait durch Pigmentanalysen als Fälschung des 19. Jahrhunderts nachgewiesen wurde.

Auch die Geschichte des Ashbourne-Portraits

verdient Beachtung. Es wurde lange Zeit als Shakespeare-Portrait angesehen und stammt unbestritten aus dem 16./17. Jahrhundert. Großes Erstaunen hat jedoch erweckt, als deutlich wurde, dass das Gesicht des Dargestellten mit einem Portrait von Edward de Vere (Wellbeck-Portrai), übereinstimmt.

Marc Anderson wählt dies als Titelbild seines Buches „Shakespeare by Another Name" („ Mit anderem Namen Shakespeare"). Die beiden Hälften des Gesichts sind jeweils dem einen bzw. dem anderen Portrait entnommen. Die Übereinstimmung ist überraschend groß. 

Ist dies nun ein Beweis für die Oxford-These? Es ist nur eines der vielen Mosaiksteinchen, eines von Hunderten, die zusammen ein schlüssiges Bild ergeben. Auffallend ist allerdings, dass nach dieser Entdeckung die Shakespeare-Forschung bemüht war nachzuweisen, dass das Ashborne-Portrait nicht Shakespeare darstelle, sondern es wurde versucht, den Dargestellten als einen lord mayor von London hinzustellen. Das Ashbourne-Portrait stammt aber nachweislich aus der Verwandtschaft des Grafen von Oxford. Mark Anderson, Shakespeare by Another Name, New York 2005, S. 405 ff.  Zur Geschichte des Portraits s. auch: Neues Shake-Speare Journal, Band 7, 2002, S. 116 ff.

Berechtigte Zweifel

Stanley Wells hat sich 2007 in eine Debatte begeben, die bis dahin von Vertretern der Stratford-Annahme streng vermieden wurde. Er kritisierte in der Zeitschrift „The Stage" die Schauspieler Sir Derek Jacobi und Mark Rylance, weil sie die Declaration of Reasonable Doubt („Erklärung über berechtigten Zweifel") unterzeichnet hatten. Beide sind im englischsprachigen Raum bekannte Theater- und Filmschauspieler und vor allem auch als Shakespeare-Darsteller berühmt. Mark Rylance leitete von 1995 bis 2005 als künstlerischer Direktor das neue Globe Theatre in London. Beide stehen öffentlich zu ihrem Zweifel an der Autorschaft und Sir Derek Jacobi vertritt offen die Oxford-These. Die von ihnen unterzeichnete Erklärung fand bisher weltweit 1500 Unterzeichner, darunter zahlreiche Wissenschaftler und Kulturschaffende. Die Erklärung fordert lediglich, dass die Frage nach der Autorschaft von Shakespeares Werk als wissenschaftlich berechtigt anerkannt wird. Eine Aussage über die Autorschaft selber trifft die Erklärung nicht.

Wurden bisher alle, die Zweifel an der Stratford-Annahme äußerten, als unseriös, lächerlich oder noch schlimmer gebrandmarkt, so ging Wells jetzt nur soweit zu sagen, dass „jemand, der diese Zweifel vertritt, gefährdet ist, in geistige Verwirrung zu geraten". Dass dies schon geschehen sei, wagte er dann für die beiden bekannten Unterzeichner nicht zu behaupten. Die Argumente seines Artikels wurden von Mark Rylance ausführlich widerlegt.

Ist es möglich, dass Stanley Wells seine Einlassung auf die Debatte nachträglich als einen Fehler einschätzt, den er nun versuchte, wieder gut zu machen? Die weltweit wachsende Bereitschaft, besonders in den USA, die Frage der Autorschaft von Shakespeares Werk auch auf Universitätsniveau zu bearbeiten und ihre Berechtigung zu akzeptieren, muss für Stratford als eine große Bedrohung erscheinen. Auch England ist nicht mehr sicher: die Brunel University in London bietet inzwischen einen MA-Studiengang zur Autorschaftsfrage an. Glaubte Stanley Wells durch die Präsentation einer authentischen Vorlage für das Droeshout-Portrait den „Zweiflern" endgültig den Boden entziehen zu können? Wie groß muss seine Unsicherheit in Wahrheit sein, um so fragwürdig vorzugehen.