SHAKESPEARES NAMENSGEBUNG - IAGO, RODERIGO, OTHELLO

Quelle für Othello ist eine Geschichte aus den Hecatommithi („Hundert Erzählungen") des Giraldi Cinthio, die 1566 in Venedig veröffentlicht wurden. In Cinthios Erzählung wird nur Desdemona namentlich benannt (als „Disdemona"), Othello als „der Mohr" bezeichnet, Jago als „der Fähnrich", Cassio als „der Kapitän". Die Namensgebung ist Shakespeares Schöpfung.

Wieso heißt Othello „Othello", fragt Theodor Elze. „Wie kommen die spanischen Namen 'Jago' und 'Rodrigo' hierher? Oder läßt sich deren Vorkommen in Venedig nachweisen? Das sind bisher ungelöste Fragen..." („Italienische Skizzen zu Shakespeare", zweite Folge, Shakespeare Jahrbuch, Band 14, 1878, S. 168).

Hundert Jahre nach Theodor Elze ist die Frage für den Namen Jago gelöst worden (Macey, Samuel L., „The Naming of the Protagonists in Shakespeare's 'Othello', in Notes and Queries, April 1978, S. 143-145). Von Jago ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum Namen Roderigo. Für Othello wird hier, vermutlich zum ersten Mal, eine Lösung angeboten.

JAGO UND RODERIGO

Santiago, der heilige Jago oder Jakob, ist Spaniens nationaler Heiliger, „der weithin als der Krieger Santiago Matamoros, Sankt Jakob der Mohrenschlächter, bekannt war". Der Name Iago bot sich an für den Fähnrich, der sich die Vernichtung des Mohren Othello zum Ziel gesetzt hatte.

Nach dem Modell binärer Namensgebung bei Fortinbras und Laertes fragen wir, ob sich der Name Roderigo mit einem anderen spanischen „Mohrenschlächter" verknüpfen ließe. Als erster kommt dabei der Nationalheld El Cid in den Sinn, der Ende des elften Jahrhunderts die Stadt Valencia eroberte und mehrmals gegen die Mauren erfolgreich war. El Cids Familienname war Diaz de Vivar, sein Vorname: Rodrigo.

OTHELLO

Welcher geschichtliche oder sonstige Bezug lässt sich für Othello finden? Einem Wörterbuch italienischer Namen zufolge scheint der Name in Italien äußerst selten gewesen zu sein, bis Giuseppe Verdi 1887 eine Oper nach Shakespeares Stück komponierte. Er ist ein Dimunitiv von Otho. An welchen Otho könnte  Shakespeare gedacht haben, als er den Namen Othello wählte? Als erstes muss man wohl die lateinischen Klassiker erforschen. Hier ist nur von einem einzigen Otho die Rede, der vom Januar bis April 69 u. Z. drei Monate lang römischer Kaiser war, nachdem er seinen Vorgänger Galba hatte ermorden lassen. Der reale Otho und der Bühnenheld Othello, der „kleine Othello", waren beide Außenseiter, soziale Aufsteiger, die ein Amt bekleideten, das ihnen aufgrund ihrer Abstammung normalerweise hätte verwehrt bleiben müssen. Tacitus beschreibt Otho als eine liederliche Person, einen Freund Neros, der gleichwohl als Prokurator in Lusitanien (Portugal) Großmut und Gerechtigkeitssinn gezeigt habe, „a free and open nature", wie Jago von Othello sagt (I.iii.97).  Im Bürgerkriegsjahr 69 u. Z. wird Otho für kurze Zeit Kaiser, verliert aber die Schlacht gegen die Truppen seines Rivalen Vitellius. Nach dieser Schlacht entscheidet er sich für den Freitod, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. So läßt Tacitus ihn sprechen: „Diesen euren Mut, diese Tapferkeit noch länger den Gefahren auszusetzen, halte ich für einen allzu hohen Preis meines Lebens... Wir haben uns gegenseitig aneinander erprobt, ich und das Schicksal. Und rechnet die Zeit zusammen: schwieriger ist es, sich zu mäßigen in einem Glück, das man nicht lange zu genießen glaubt. Der Bürgerkrieg begann von seiten des Vitellius, und daß wir aber nicht mehr als einmal streiten, dafür werde ich das Beispiel geben. Danach soll die Nachwelt Otho beurteilen... Als vorzüglichen Beweis meiner Entschlossenheit betrachtet, daß ich mich über niemanden beschwere; denn Götter und Menschen anzuklagen, das entspricht einem Menschen, der leben will". (Tacitus, Historien, Buch II.47, Stuttgart 1995) . Er verabschiedet sich ruhigen Gemüts von jedem einzelnen Soldaten, zuletzt von seinem Neffen und Erben: „Groß genug sei der Name, den er sich, groß genug der Adel, den er seinen Nachkommen geschaffen habe. Nach Iuliern, Claudiern und Serviern sei er der erste, der einem noch unbekannten Haus die Herrscherwürde verliehen habe". Tacitus schließt mit Worten, die auch für Othello gesprochen werden könnten: „Durch zwei Taten, eine äußerst schändliche und eine vortreffliche, verschaffte er sich bei der Nachwelt ebensoviel guten wie schlechten Ruf." Die schändliche Tat war die Ermordung Galbas, die vortreffliche, dass er es vorzog, sich selbst das Leben zu nehmen, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.

Gleiches kann man von Othello sagen.

Othellos schändliche Tat ist die Ermordung Desdemonas, die vortreffliche, dass er mit der Schande nicht mehr weiter zu leben wünschte.  Cassio äußert sich zu Othellos Selbstmord: „This did I fear, but thought he had no weapon / For he was great of heart." [„Dies befürchtete ich, dachte jedoch, er hätte keine Waffe, / Denn er hatte ein großes Herz."]

Gleiches kann man von Kaiser Otho sagen.  

© Robert Detobel 2010