Spektrum Shake-speare 2013

EDITORIAL

Die Doppelung der Jahreszahlen 2014/2016 wird vielerorts – sogar «weltweit» – Anlass zu Feierlichkeiten, Jubiläumsfeiern, Gedenkveranstaltungen usw. der verschiedensten Art sein.

Es soll der 450. Geburtstag gefeiert bzw. des 400. Todestages gedacht werden: – von William Shakespeare.

Wirklich von Shakespeare? Diese Frage steht Im Brennpunkt in diesem Band von Spektrum Shake-speare 2013.

Durch den Film Anonymus (2012) von Roland Emmerich hat die Frage nach dem wahren Autor «Shakespeare» an Bekanntheit gewonnen und die Zweifel an der Erzählung aus Stratford haben ein größeres Publikum ereicht.

«Ich finde Emmerichs Film wichtig. Er ist zwar nicht historisch richtig, aber das war auch nie Emmerichs Absicht. Ich finde den Film amüsant und er ist gut gemacht. Ich habe ihn als Historienkomödie gerne gesehen. Er ist wichtig, weil er die Shakespeare-Frage an ein modernes und breitgefächertes Publikum vermittelt. Die tatsächliche Story des Films ist gar nicht so wichtig. Bedeutsam ist nur, dass Shakespeare die Stücke unmöglich geschrieben haben kann oder dass daran zumindest ein berechtigter Zweifel besteht».

So William Leahy von der Brunel University, London, im Film Der Nackte Shakespeare.

Auf der Website des SBT («Shakespeare Birthplace Trust» / Stratford-upon-Avon) fanden sich am Ende der Seite «Shakespeare's Authorship» Bemerkungen, wonach der vielerorts laut werdende Zweifel an der Identität William Shakespeares «eine sehr ernst zu nehmende psychologische Verirrung» darstellen würde, die auf multiple Ursachen zurückzuführen sei, darunter «erwiesener Wahnsinn, wie im Fall der bemitleidenswerten Delia Bacon ... ». Prof. Wells und der SBT versah jeden mit dem Etikett «mental gestört», der nicht seine Ansichten teilte.

Diese Ausführungen sind erst im April 2011 entfernt worden.

Die Wirkung von Anonymus suchte der SBT mit seiner Aktion «60 Minutes With Shakespeare» vorab zu neutralisieren. Aber wie viel Glaubwürdigkeit und welch wissenschaftliches Ansehen ist zu gewinnen, wenn die Befragten sich die 60 Fragen selber stellen und Antworten nur von Personen aus den eigenen Reihen gegeben werden?

Mit der neuen Buchveröffentlichung Shakespeare Beyond Doubt (Herausgeber: Paul Edmondson und Stanley Wells) versucht der SBT nun wieder Wissenschaftlichkeit zu zeigen und sich vor allem von dem Druck der Declaration of Reasonable Doubt zu befreien.

Man weicht von der bisherigen Strategie der Kennzeichnung aller Zweifler als Spinner oder als geistesgestört ab. Etwas sanfter und weniger fanatisch wird zugegeben, dass es nicht mehr möglich ist, Anti-Stratfordianer als «falsch informierte Dummköpfe» zu bezeichnen. Vielmehr verständigt man sich auf die Position, dass «vernünftige Menschen unvernünftige Meinungen haben können».

In der direkten Auseinandersetzung mit der «Shakespeare Authorship Coalition» (SAC), die die Declaration verfasst hat, heiß es in dem neuen Buch aus Stratford:

«Dieses Kapitel wird die SAC-Leser enttäuschen, die nach einer Punkt-für-Punkt Widerlegung suchen.»

Damit soll suggeriert werden, dass man zwar diese Widerlegung geben könnte, aber einen anderen Weg wählen will. In Wirklichkeit wird versucht zu verdecken, dass man keinen der Punkte der Declaration entkräften kann. Stattdessen wird wieder die bekannte Methode angewendet, an die Stelle einer Behandlung der sachlichen Gründe die Suche nach der psychologischen Befindlichkeit der Zweifler zu setzen.

Mit der fast zeitgleichen Veröffentlichung bei ähnlichem Cover von Shakespeare Beyond Doubt? (Herausgeber: John Shahan und Alexander Waugh) zeigt die Authorship Coalition einmal mehr, dass die Forderung der Declaration nach einer Anerkennung der Autorschaftsfrage als ein legitimes Thema wissenschaftlicher Forschung im Hinblick auf 2014/16 immer dringlicher wird. Spektrum Shake-speare gibt deshalb im vorliegenden Band die Declaration im übersetzten Wortlaut wieder.

Soweit mag dies zu einem Verständnishintergrund für das Thema dienen, von dem auch der bei ARTE gesendete Dokumentarfilm von Claus Bredenbrock Der Nackte Shakespeare handelt. Insbesondere geht er der Thematik «Shakespeare und Italien» ausführlich nach. In Shakespeare Beyond Doubt wird diese Frage gar nicht erst berührt; der Grund ist leicht einsehbar: Die Stratford-Erzählung kann darauf keine Antwort geben und ihre Unhaltbarkeit wird sofort deutlich.

In der englischen Literatur des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts wird der Name Melicertus dreimal an ganz verschiedenen Stellen genannt. Deutlich ist, dass damit ein sehr bedeutender Dichter gemeint ist.

Von den Literaturwissenschaftlern wurde der Versuch einer Klärung, welcher berühmte Dichter das ist, bald wieder eingestellt. Erstaunlich! Oder auch nicht erstaunlich. Es ist wie mit der Frage nach Italien beim SBT: Man geht der Frage erst gar nicht nach, denn die Antwort würde dazu zwingen, herrschende Lehrmeinungen aufzugeben. Aber es lässt sich sehr wohl klären, wer mit Melicertus gemeint ist, d. h., unter welchem Namen er bekannt war, aber auch, wer es nicht ist, und vor allem, welches der wirkliche Name dieses berühmten Dichters ist.

Robert Detobel liefert die Klärung und man darf auf genügend Neugier der Leser hoffen, der Abhandlung zu folgen.

Also ein Beweis? Jedenfalls ein Beweis dafür, dass Schriftsteller der Shakespeare-Zeit davon überzeugt waren zu wissen, wer Shakespeare wirklich ist.

Aber nur in Detailarbeit lassen sich auch entfernt liegende Dinge zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen, denn Forschung ist detailliert und die Sachen sind kompliziert. Wer die Detailarbeit scheut, darf sich nicht beschweren, wenn ihm wichtige Einsichten verschlossen bleiben.

Ein anderes Beispiel: Muss man historisch über die Elisabethanische Zeit ein Detailwissen haben, um Shakespeare zu verstehen? Die Frage ist zu verneinen. Aber umgekehrt wird deutlich, welches ganz neue – und vielleicht sogar erschreckende – Verständnis einer sehr bekannten Szene aus Was ihr wollt erschlossen wird, wenn die historischen Zusammenhänge vieler Details erkannt werden.

Wie der Mann aus Stratford sein ungeheuer umfangreiches Wissen und die umfassenden Kenntnisse in so vielen Gebieten erworden haben kann, gehört auch mit zu den Fragen, die der SBT vermeidet und zu unterdrücken versucht. Der zweite Teil der Abhandlung von Earl Showerman gibt einen Einblick, in welcher Breite und Tiefe Kenntnisse der klassischen Antike bei Shakespeare zu finden sind.

Die Befürchtung, dass «Shakespeare» in der Schule immer weniger als Inhalt präsent sein wird, wurde schon im Spektrum Shake-speare 2012 geäußert. Das Beispiel einer Schüleraufführung zeigt, welche Möglichkeiten Schule hat, das Thema lebendig werden zu lassen. Auch wird wieder didaktisches Material für den Unterricht zur Verfügung gestellt.

Die «Deutsche Shakespeare-Gesellschaft» (Weimar) hat sich in ihrer Haltung zur Autorschaftsfrage kaum von der des SBT unterschieden, wie ein Vergleich der «Sprachregelungen» aus den letzten 30 Jahren zeigt. Immerhin deuten sich jüngst eine leichte Veränderung und eine größere Vorsicht in den Formulierungen an. Nachdem 2012 deutsche Oxfordianer sogar aus dem Vorstand zu «sehr fundierter Arbeit» beglückwünscht wurden, darf man weiter gespannt bleiben, wann hier die Bereitschaft zu wissenschaftlicher Offenheit in der Autorschaftsfrage eintritt.

Die Redaktion