Editorial

In ihrer Zusammenfassung The Shakespeare Controversy wählten die Autoren1 zwei Begriffe aus dem Rechtsleben bzw. genauer aus dem Strafrecht, um die Lage in der Kontroverse über Shakespeares Autorschaft zu beschreiben: Beweisunterdrückung und Indizien-beweis.

Damit sollten zwei Bücher, die 1975 veröffentlicht worden waren, charakterisiert werden: William Shakespeare: A Documentary Life von Samuel Schoenbaum und die von Ruth Loyd Miller herausgegebene und umfangreich kommentierte zweite Ausgabe von Shakespeare“ Identified von Thomas Looney (erste Ausgabe 1920). Die Autoren führten u. a. aus:

Professor Schoenbaums Buch resultiert aus einer falschen Annahme und wird durch Beweis-unterdrückung gestützt. Millers Buch ergibt sich aus einer rationalen Argumentation und stützt sich auf Indizienbeweise. Das erste ist das Werk eines Berufsgelehrten. Das andere das Werk einer Rechtsanwältin und Privatgelehrten. Viel wichtiger ist aber: Das erste ist falsch, das zweite ist wahr. Professor Schoenbaum fühlte sich genötigt, den Stratford-Mythos zu verteidigen, demgegenüber hat Miller das Recht, mit Henry James zu sagen, dass der Stratford-Mythos „der größte und erfolgreichste Betrug ist, dem die geduldige Welt je ausgesetzt war“, und mit Shakespeares Puck zu verkünden, „Was für Narren diese Sterblichen sind“.

Einen Versuch, die Autorschaftsfrage rechtlich zu entscheiden, gab es am 25. September 1987 mit der gerichtsähnlichen Verhandlung an der American University in Washington D. C., bei der drei oberste Bundesrichter den Vorsitz führten. Zwar wurde gegen Oxford entschieden, aber zwei der beteiligten Richter äußerten dann nachträglich ihre Zweifel an der Entscheidung und einer der drei Richter, John Paul Stevens, unterzeichnete zusammen mit der obersten Bundesrichterin Sandra O’Connor 2009 sogar die Declaration of Reasonable Doubt.

Auch wenn die juristische Thematik im „Fall Shakespeare“ also nicht ganz neu ist, überrascht es dann doch, in einem gewichtigen Band von über 800 Seiten, der von Juristen für Juristen – oder von Strafrechtlern für Strafrechtler – geschrieben wurde, eine detaillierte Darstellung der Kontroverse um Shakespeare und der Sache von Oxford zu finden. Diesen „Fund“, einen Aufsatz von Bernd Schünemann, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht und Inhaber des Lehrstuhls an der Ludwig-Maximilians-Universität München, möchten wir unseren Lesern besonders empfehlen. Wir geben den dritten Teil des Aufsatzes wieder und vermuten, dass Oxfordianer begeistert sein werden.

Für die breite Öffentlichkeit gewinnt die Diskussion jedoch kaum an Sachlichkeit. Da wird ein Bild weltweit und erfolgreich für ein Porträt von Shakespeare erklärt, was es nicht ist; in Stratford werden Häuser für echt erklärt, was sie nicht sind. In dem Artikel von William Leahy ist mehr darüber zu erfahren und auch in einem Gespräch mit Alexander Waugh, das wir hier wiedergeben.

Welchen persönlichen Weg es gibt, um von einem Stratfordiader zum Oxfordianer zu werden, und dass die herrschende Unsachlichkeit auch zu einer Provokation herausfordern kann, ist in den letzten beiden Beiträgen nachlesbar.

1         Warren Hope, Kim Holston, The Shakespeare Controversy, 1992. Zweite Auflage McFarland 2009.