FORTSETZUNG

A

Es stellt sich aber nun die Frage, warum unverändert über „Shakespeare“ nur so gesprochen wird, dass er der Mann aus Stratford sei und die neuen Erkenntnisse sich nicht verbreiten.

B

Darauf antworte ich zunächst mit einem Zitat aus den (Goethe/Schiller) Xenien:

Liegt der Irrthum nur erst, wie ein Grundstein, unten im Boden,
Immer baut man darauf, nimmermehr kommt er an Tag.

                                                                                           (165)

Es gibt Erkenntnisse und Wahrheiten, die nie anerkannt werden.

  • William Shakspere (1564-1616) aus Stratford war nicht der Dichter „Shakespeare“.

 Diese Aussage ist sehr gut begründet. Die Begründung liegt seit mehr als 100 Jahren vor und ist in einer kaum zu zählenden Anzahl von Veröffentlichungen und Büchern der verschiedensten Autoren dargelegt.

„Gut begründet“ bedeutet zwar nicht „bewiesen“, aber die Begründungen sind so gut, dass die ernsten Zweifel an den gängigen, genau das Gegenteil besagenden Aussagen, nicht mehr zurückgewiesen werden könnten. Wissenschaft und Forschung müssten dem Problem und den aufgezeigten Widersprüchen nachgehen.

Die Wissenschaft und Forschung gehen dem aber nicht nach und werden dies auch in Zukunft nicht tun. Deshalb werden die Zusammenhänge nicht in der Breite bekannt und die Wahrheit wird sich nicht durchsetzen.

Warum nicht?

Ich sehe drei Gründe:

  1. Die Zeit arbeitet zunehmend gegen eine Verbreitung und Akzeptanz der neuen Kenntnisse.
  2. Es fehlt der ökonomische Druck.
  3. Die Kosten für eine Änderung der herrschenden Lehre sind zu hoch.

Zu 1:

Shakespeare ist in Deutschland aus dem Schulunterricht weitgehend verschwunden. Selbst in England wird er in der Schule kaum noch – wenn überhaupt – im Original gelesen.

Das Interesse an dem Dichter wird weiter abnehmen. Eine in der Öffentlichkeit vorhandene Bereitschaft, sich mit Fragen der Biographie zu befassen, wird nur noch in immer kleiner werdenden Kreisen zu finden sein, d. h. ein Interesse für die auftretenden Fragen an der gängigen Lehre wird nicht in dem Umfang entstehen, der notwendig wäre, um Wissenschaft und Forschung zu beeinflussen. Auf deutschen Bühnen wird Shakespeare zwar weiterhin oft inszeniert, aber im sog. „Regietheater“ oder in der sog. „Postdramatik“ oder in neueren Theater-Strömungen ging bzw. geht es um andere Fragen. Wer der Dichter war und wer nicht, spielt dort kein Rolle.

Die Anzahl der Studenten in Anglistik oder Germanistik nimmt in Deutschland oder z. B auch in den USA ab und wird langfristig weiter abnehmen. Das ist keine gute Voraussetzung dafür, dass sich Studenten für diese Fragen interessieren lassen. Von den Engführungen durch Bologna ganz zu schweigen.

Es kommt noch etwas hinzu: Eine sog. „links-intellektuell-alternative“ Einstellung [diese Bezeichnung ist problematisch und  unzureichend. Sie soll hier, bis eine bessere Bezeichnung gefunden wird, nur als ein Hinweis zur Verständigung dienen], verbreitet sich in vielen Schattierungen vor allem an den Universitäten. In den möglichen (und erwartbar sogar nachhaltigen) Wirkungen auf längere Sicht, sollten diese Sichtweisen nicht unterschätzt werden. Shakespeare ist danach ein „old white male“, der besser nicht mehr gelesen werden sollte, da sein Werk frauenfeindlich (Taming of the shrew), rassistisch (Othello), antisemitisch (Merchant of Venice), kolonialistisch (Tempest) usw. sei. Diese Ansichten sind, wenn auch noch nicht häufig, aber dennoch vernehmbar zu hören. Wo aber Shakespeare in Kern abgelehnt und auch angegriffen wird, ist da noch Platz für die Frage nach dem Autor?

 Als „Der Mann, der Shakespeare erfand“ von Kurt Kreiler 2009 veröffentlicht wurde, fand das Buch Beachtung in den Medien mit vielen Rezensionen, die von Zustimmung bis Ablehnung reichten und die Autorschaftsfrage wurde breiter bekannt. Was war damit aber erreicht? Wenig. Die deutsche Shakespeare-Gesellschaft und die Anglistik verweigerten die Diskussion, die damit endete, und es konnte keine nachhaltige Wirkung entstehen.

Es wurde daran deutlich, dass für die „Shakespeare“-Frage sich in Deutschland kein breiteres Interesse mehr finden lässt.  Dies zeigte sich erneut sehr deutlich an der im Mai 2019 eingerichteten Website „Wer war Shakespeare?“. Breit angelegt gibt es dort für die Themen in verschiedenen Foren viel Raum für Diskussion, an der dem Autor Leo Brux viel gelegen ist. Daran hat sich aber so gut wie niemand beteiligt. Lediglich Bastian Conrad nutzte dies Angebot als willkommene Möglichkeit, um für seine Marlowe-Theorie zu werben.

Zu 2.

Johannes Kepler schrieb 1597 an Galileo Galilei und forderte ihn auf, sich öffentlich für das neue Kopernikanische Weltbild einzusetzen und formulierte: „So groß ist die Macht der Wahrheit“ (tanta vis est veritatis). Hatte er Recht? Galilei musste in Gegenteil die „Ohnmacht der Wahrheit“ (Hans Blumenberg) erfahren. Langfristig – im Laufe der Jahrhunderte – wurde dann aber das neue Weltbild anerkannt. Geschah dies durch die „Macht der Wahrheit“? Das könnte man so sehen, aber so einfach war das nicht.

Die Kirche konnte Galilei den Prozess machen, ihn zum Widerruf zwingen und das Buch von Kopernikus auf den Index der verbotenen Bücher setzen. Die Kirche hatte dann im Laufe der Zeit zwar einiges an Macht und Einfluss eingebüßt, blieb aber in ihrem Einflussbereich nach wie vor sehr mächtig. Warum sollte sie die Ablehnung und das Verbot des heliozentrischen Weltbildes aufgeben? Tat sie das auf Grund der Macht der Wahrheit? Wohl kaum.

Wer interessierte sich denn außer Fachleuten schon für mathematische Modelle zur Beschreibung der Planetenbewegungen? Der – astronomisch – endgültige, strenge Beweis für das neue System stand noch aus (Bessel, 1837). Der war aber nicht mehr nötig. Der Beweis wurde täglich tausendfach in der Seefahrt durch die Navigation mit Hilfe der vorausberechneten Gestirnpositionen erbracht. Und die waren wichtig, sehr wichtig. Kein an der Seefahrt Beteiligter und Interessierter war noch bereit, sich auf die unzuverlässigen Berechnungen nach dem alten System zu verlassen und dafür zu bezahlen. Mit den neuen Nautical Almanach konnte sogar Geld verdient werden. Und dessen Daten wurden natürlich nach dem neuen System und zwar in seiner Vollendung durch Newton berechnet. Bei der Zunahme der weltweiten Seefahrt kam es auf eine zuverlässige und sichere Navigation an und die war nur mit guten astronomischen Daten möglich. Der alte Streit zwischen den Systemen war kein theoretisch-philosophischer mehr, sondern er wurde täglich durch Schiffspositionen entschieden. Vielleicht war das nicht allen klar, aber so war es. „It‘s the economy – stupid“. Dieser Macht musste sich die Kirche dann beugen – vielleicht ohne den Zusammenhang zu sehen – sie lenkte ein und hat das Buch von Kopernikus 1757 vom Index gestrichen. Das Urteil gegen Galilei wurde 1980 -1992 revidiert.

Solch ein „ökonomische Druck“ ist gemeint. Etwas Entsprechendes ist bei den genannten Fragen zu Shakespeares Biographie nicht vorhanden und auch nicht möglich.

Jeder denkende Mensch mit einer gewissen Bildung, kann sich sehr schnell anhand der Dokumente überzeugen, dass die anfangs zitierte Aussage gut begründet ist. Die weiteren sich anschließenden Fragen, wer Shakespeares Werke geschrieben hat, werden hier nicht behandelt. Darauf kommt es auch nicht an. Es geht nur darum, dass Fragen gestellt und Widersprüche in der herrschenden Lehre aufgezeigt werden. Diese hätte die Wissenschaft und Forschung aufzulösen. Aber warum sollte sie das tun? Nur um der Wahrheit zu dienen? Dazu fühlt sie sich nicht veranlasst.

Es gibt hunderte weiterer Argumente und eifrig Forschende suchen noch nach neuen. Aber weder die zahlreich vorhandenen, noch neu gefundene werden nichts ausrichten. Ein Druck, der den Shakespeare-Birthplace-Trust (SBT) oder die Lehrstuhlinhaber und die Lehrkörper in den entsprechenden Fakultäten der Anglistik in Bewegung setzen könnte, lässt sich dadurch nicht erzeugen. Angriffe wie der Film „Anonymus“ von Roland Emmerich (2011), der die Shakespeare-Autorschaft für ein breites Publikum darstellte, wurden erfolgreich abgewehrt. Heute ist der Film vergessen. Einer weiteren Diskussion wird jede Beteiligung verweigert.

Zwischen dem 30. März 2013 und Mitte Mai 2014 veröffentlichte die britische Tageszeitung Guardian sowie die Wochenzeitungen New Statesman und Spectator Debatten zur Autorschaftsfrage. Es war überraschend, wie offen und wie weit die Beiträge über ein ungewöhnlich lange Zeit gehen konnten (und durften). Aber auch das blieb folgenlos.

Behauptet wird zwar von Seiten des SBT, die ungeliebten Aussagen seien widerlegt, in Wirklichkeit wurde das Ergebnis autoritär und ohne offene Diskussion verfügt. Mehr als das: es wird zu Diffamierungen und Polemiken ad hominem gegriffen und die Behauptung „Verschwörungstheorie“ wird gerne herangezogen. Das sind zwar Anzeichen für die eigene Unsicherheit, das Verfahren ist aber trotzdem wirksam das System wird nicht geschwächt. Alles war bald wieder so wie vorher, als es die störenden Fragen noch nicht gab. Und daran wird sich nichts ändern.

Zu 3.

In der Entwicklungszusammenarbeit (früher „Entwicklungshilfe“) begegneten die „Entwicklungshelfer“ anfänglich oft Verhaltensweisen oder Praktiken, die sie aus westlicher Sicht als irrational ansahen. Der Impuls war, diese so schnell wie möglich zu ersetzen.

In den Theorien zur Entwicklungspolitik wurde das aber differenzierter gesehen, wenn auch aus rein ökonomischer Sicht:

 „Eine irrationale Praxis beizubehalten kann sinnvoll sein, wenn die Kosten für das Auffinden einer rationalen Lösung größer sind als der Schaden, den die irrationale Praxis verursacht.“

Auch wenn diese Ansicht kritisierbar ist, sie hat einige Plausibilität. Hier soll sie als eine Arbeitshypothese gelten.

Die Vorstellung, dass der Mann aus Stratford der Dichter Shakespeare gewesen sein soll, kann unbedingt als irrational bezeichnet werden. Eine rationale Lösung aufzufinden hieße aber, sie auch zu implementieren. Die Kosten dafür wären aber unermesslich hoch, während das Beibehalten des Irrtums keinen erkennbaren Schaden verursacht. In der gängigen Stratfordischen Shakespeare-Theorie gibt es keine für die Öffentlichkeit sichtbaren inneren Widersprüche, die immer drängender werden und die durch inneren Druck oder Druck von außen bearbeitet werden müssten. Den Druck von außen gibt es zwar, aber er ist viel zu schwach, um etwas Wesentliches bewirken zu können.

Die Täuschung über den Autor war „von Anfang an“ da, d. h. sie wurde mit der Veröffentlichung der Shakespeare-Gesamtausgabe, der First Folio 1623 mit Absicht begründet. Der absichtliche Irrtum wurde so zum „Grundstein“, und darauf wurde ein ungeheuer großes Gebäude errichtet. Dieses abzubauen und ein neues zu errichten, wäre im Sinne einer rationalen Lösung eigentlich notwendig. Aber es ist nicht vorstellbar, wie das geschehen sollte. Die realen Kosten wären immens und gar nicht abschätzbar.

Es ist also nicht nur die Sturheit und der Widerstand des Shakespeare-Birthplace-Trusts, der Shakespeare-Gesellschaften, der Anglistik-Lehrstühle usw., die alleine die Einsicht in die wahren Verhältnisse verhindern, sondern eine Veränderung zu einer rationalen Lösung wäre mit Problemen verbunden, die tatsächlich nicht zu bewältigen sind. Aber nicht allein das, es träten noch „Kosten“ einer anderen Art auf: Die Gruppe der Shakespeare-Verehrer („Fans“) in England (und nicht nur dort), die konservativ, ja reaktionär bis fundamentalistisch gestimmt ist, wäre niemals bereit eine Änderung ihrer Verehrung (ihres Glaubens!) hinzunehmen. Die Gruppe wäre groß genug und hinreichend aktionsbereit, um die Führungsebenen der Shakespeare-Organisationen das Fürchten zu lehren. Die Empörungswellen und Entrüstungsstürme in den social media wären gewaltig. Das zeigt sichschon jetzt  regelmäßig an der Flut der Beschimpfungen und auch der Bedrohungen - auch Morddrohungen - wenn irgendwo irgendwer es wagt, einen Zweifel an der bekannten Shakespeare-Biographie zu äußern.

Aber auch ohne die Reaktionen der Fan-Gemeinde im engeren Sinne: Hieße es doch den Nationaldichter Englands – und d. h. aller Engländer – zu verändern. Das ist nicht möglich.