In seiner Namensgebung in Hamlet überkuppelt Hamlet das überzeitliche Thema der Adoleszenz über Zeit und Genre hinweg. Die Namen Hamlet und Gertrud sind einer dänischen Sage entnommen, und dänische Sagen sind alle in die Form eines Initiationsritus zur Adoleszenz gegossen. Daran knüpfen auch die Namen Fortinbras und Laertes an.
Der Name Claudius ist der römischen Geschichte entnommen. Auch hier erfolgt die Namensgebung aus der Perspektive der Adoleszenz, denn Kaiser Claudius war der Antagonist zweier adoleszenten römischen Kaiser, seines Vorgängers Caligula und seines Nachfolgers Nero.
Rosencrantz und Guildenstern sowie Polonius verweisen auf Shakespeares eigene Zeit. Hierher gehört auch der Name Reynaldo, der, deutlich genug, wie ich meine, auf eine Episode in Edward de Veres Leben referiert. Siehe hier
Auch der Name Ophelia steht wohl im Zeichen des Gegensatzes zwischen Adoleszenten- und Erwachsenenwelt. Ähnlich Hamlet zerbricht Ophelia an dem unüberbrückbaren Widerspruch ihrer Zuneigung zu Hamlet und der Loyalität zu ihrem Vater. Polonius und - durch ihn dazu bewegt - auch Claudius verwenden sie als Instrument.
Der Name ist dem Griechischen entlehnt: Ophelia bedeutet etwa „Nutzen", „Hilfe", folglich kann man den Namen als „Hilfsmittel", „Instrument", auffassen. Der Name erinnert unweigerlich an den Knaben Opheltes (dieser Name hat eine ähnliche Bedeutung wie Ophelia). Sollte es nur dem Zufall zuzuschreiben sein, dass der Mythos des Knaben Opheltes, ein Bestandteil des Mythenkomplexes um Ödipus, auf einen Ritus zurückgeht (siehe Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, 2 Bände, Reinbek bei Hamburg 1979, Band II, S. 14-16), bei dem ein Knabe anstelle des erwachsenen Winterkönigs geopfert wird? In Abwesenheit einer Quelle, wird man Shakespeares unmittelbaren Rückgriff auf eine Deutung, die erst ins Licht rücken konnte, nachdem James Frazer 1890 in Der Goldene Zweig den Ursprung der Religionen auf Fruchtbarkeitsriten zurückgeführt hatte, nicht gelten lassen können.
Doch die Verbindung zum Kindesopfer zum Nutzen des Erwachsenen lässt sich auch ohne einen solchen Rückgriff herstellen. Die Darstellung Ophelias als Opfer ihres Vaters wird auf jeden Fall deutlich in II.2, wenn Hamlet, scheinbar dem Wahn verfallen, zu Polonius spricht:
„O Jephthah, Richter Israels. Welchen Schatz hattest du!"
Polonius antwortet:
„Welchen Schatz hatte er, gnädiger Herr?"
Natürlich muss man annehmen, dass Polonius die biblische Geschichte Jephthahs, der seine Tochter opferte, kennt (Richter, 10.17ff.). Jephthah hatte Gott gelobt, im Fall eines Sieges über die Ammoniter das Wesen zu opfern, das ihm bei seiner Rückkehr aus seiner Tür entgegenkommt. Es war die eigene Tochter und sie selbst forderte ihn auf, das Opfer an ihr zu vollziehen: „Mein Vater, hast du deinen Mund aufgetan vor dem HERRN, so tu mit mir, wie dein Mund geredet hat, nachdem der HERR dich gerächt hat an deinen Feinden, den Ammonitern." „Es kam, wie es kommen musste", kommentiert Hamlet. Zweifellos liegt in der Geschichte Jephthahs und seiner Tochter das israelitische Gegenstück zum griechischen Mythos von Agamemnon und seiner Tochter Iphigenia vor. Hamlet wirft Polonius vor, seine Tochter für die eigenen Zwecke zu opfern. Dieser Vorwurf prallt an Polonius ab:
Hamlet: Nun:
Hätt e i n schön
Töchterlein, nicht mehr,
Die liebt er aus der
Maßen sehr.
Worauf Polonius beiseite spricht:
Immer
meine Tochter.
Hamlet: Hab' ich nicht recht, alter Jephthah?
Polonius: Wenn Ihr mich Jephthah nennt, gnädiger Herr, so habe ich
eine Tochter, die ich aus der Maßen sehr liebe.
Das Kind Opheltes ist der Sohn des Königs von Nemea, Lykurgus. Hypsipyle wurde als Tochter des Thoas, des Königs von Lemnos, geboren. Die Frauen von Lemnos sollen einen schlechten Mundgeruch gehabt haben, weshalb ihre Männer nicht mehr mit ihnen schlafen wollten. Dies erzürnte Aphrodite, die Göttin der Liebe, die den Frauen befahl, ihre Ehemänner zu ermorden. Aus Liebe für ihren Vater Thoas missachtete Hypsipyle das Gebot der Aphrodite und versteckte ihn. Durch die Missachtung eines göttlichen Gebotes rettete sie ein Leben, durch die Missachtung eines Orakelspruches tötete sie das Kind Opheltes, dessen Amme sie wurde, nachdem sie aus Lemnos vertrieben, Piraten in die Hände gefallen und als Sklavin an König Lykurgus verkauft worden war. Ein Orakelspruch besagte, dass Opheltes nie auf den Boden gelegt werden dürfe, bevor er laufen konnte. Als die Sieben (Ödipus' Sohn Polyneikes und seine Verbündeten) gegen Theben zogen, fragten sie Hypsipyle nach der nächsten Wasserquelle. Sie legte Opheltes auf den Boden, führte die Krieger zur Quelle und erzählte derweil den Griechen ausgiebig von ihrem bitteren Schicksal. Währenddessen kam eine Schlange und tötete Opheltes.
Ophelia ist gleichzeitig Hypsipyle und Opheltes. Weil sie ihren Vater liebt, ihm bedingungslos gehorcht, ihm „Ophelia", „zu Nutzen", ist, erleidet sie das Schicksal des Opheltes.
© Robert Detobel 2010