5. Die versuchte orthodoxe Lösung

Die zweifache Erwähnung des Namens Melicertus in einem je verschiedenen zeitlichen Zusammenhang wurde zum ersten Mal von C. Elliot Browne Ende 1873 thematisiert (Notes & Queries, 4th Series, XII, 1873, S. 509-510). Es folgten ein Jahr später eine Replik von Brinsley Nicholson (Notes & Queries, 5th Series,  I , 1874, S. 109-111) und ein Überblick (Ingleby, C.M., a.a.O. S. xiv-xxii). Es wurde danach nie mehr angerührt. Bis heute.

War es gelöst?

Natürlich behauptete keiner der drei Autoren, der Melicertus, der gemeisam mit Sidney und Walsingham genannt wurde, sei Shakespeare (obwohl Elliot Browne bekannte, mit diesem Gedanken eine Weile gespielt zu haben). Alle gingen davon aus, es müsse sich um einen Staatsmann handeln. Dieser Staatsmann müsse außerdem 1603 gestorben sein. Warum musste dieser Melicertus sterben? Einfach deshalb, damit William Shakespeare den Namen Melicertus übernehmen könne. Das Argument lautete: Auch der Name Meliboeus kommt zweimal in Chettles Schrift vor, das eine Mal ist Sir Francis Walsingham gemeint, das andere Mal vermutlich John Marston (siehe oben). 1603 sei somit der Name Meliboeus vakant geworden und konnte John Marston zugewiesen werden. Unerörtert blieb, dass Chettle die beiden Meliboeus deutlich durch das begleitende Adjektiv unterschied. Walsingham ist „good Meliboeus", Marston ist „young Meliboeus". Wir haben also einen Meliboeus Senior und einen Meliboeus Junior. Aber die jeweils bei Melicertus auftretenden Adjektive sind nicht deutlich voneinander abgegrenzt. Im Gegenteil: sie sind im gleichen semantischen Feld eingegrenzt. „Smooth tongued" und „silver-tongued" gehörten beide zur Gruppe der sprachliche Qualität bezeichnenden Adjektive. Weiter kann daraus, das Walsingham und Sidney 1603 gestorben waren, nicht zwingend gefolgert werden, dass auch Melicertus gestorben war. Es sei denn, es gelänge, einen überzeugenden Kandidaten für den zuerst genannten Melicertus zu finden.

Den hat keiner der drei Autoren zu finden vermocht. Brinsley Nicholson schlug Lord Burghley vor, der 1598 zwar gestorben war, aber keine literarischen Referenzen vorzuweisen hatte. Ingleby wies den Vorschlag deshalb zu Recht zurück und präsentierte stattdessen Thomas Sackville, Lord Buckhurst. Der hatte ohne Zweifel literarische Referenzen vorzuweisen, lebte aber noch bis 1608, so dass Ingleby nach seinen eigenen Kriterien Buckhurst als William Shakespeare hätte identifizieren sollen. Doch offenbar wollte man sich mit dem Problem nicht allzu genau befassen.

© Robert Detobel 2011

6. Melicertus in Robert Greenes Menaphon