In seiner Rezension von Kurt Kreilers Buch „Der Mann der Shakespeare erfand" schreibt Peter von Becker („Der Tagesspiegel", 6.11.2009):
„Statt Indizien würde man nach so viel Verheißungen, wenn schon kein posthumes Geständnis, so doch gleichsam die Tatwaffe erwarten; mindestens einen bisher übersehenen Schlüsseltext."
Einen „Schlüsseltext" kann ich nicht anbieten, wohl aber etwas, das vielleicht danach riecht, einen Ersatz, mit dem man nicht völlig unzufrieden sein dürfte.

Robert Detobel

(Siehe auch Smoking Gun")

What thing is love?

In Band X des Neuen Shakespeare Journal habe ich darauf hingewiesen, dass Shakespeares Werk durchaus einige Anknüpfungspunkte an die wenigen Oxford zuzuschreibenden Gedichte erhalten, u. a. sind im dritten Teil Heinrich VI., aber auch in Richard II. recht deutliche Anklänge an Oxfords Gedichte (Liedertexte eigentlich) „My Mind to me a Kingdom is" und „Were I a King" nachweisbar. „My Mind to me a Kingdom is" ist im Grunde eine lyrische Verarbeitung Senecascher Gedanken, für die sich in Akt V von Hamlet Parallelen finden lassen. Das war nur eine leisetreterische Andeutung, dass sich Shakespeare nicht scheute, Anlehnungen bei Oxford zu machen.

Aber hier ist ein Oxford zugeschriebenes Gedicht (das auch in Robert Greenes Menaphon vorkommt, aber nicht von Greene ist; es ist in einer Anthologie England's Parnassus (1600) Oxford zugeschrieben, obwohl es vorher bei Greene erschienen war, aber die besten Gedichte in Greenes Menaphon dürften von Oxford stammen; Greene ist kein Lyriker ). Es handelt sich um eine sehr freie Übersetzung eines 1534 veröffentlichten Gedichts des französischen Hofdichters Mellin de Saint-Gelais (1491-1558).

Schlüsseltext? Nein, aber ich will auf das Wort „Schlüssel" nicht völlig verzichten und nenne es einen „Schlüssellochtext".

Die letzte Strophe nämlich ist unvollständig und kursiv geschrieben. Sie erscheint als eine weitere Strophe dieses Gedichts, ist aber in Wirklichkeit eine Stelle aus Romeo and Juliet, Akt I, Szene 1, Zeilen 188-193:

What thing is love? It is a power divine
That reigns in us: or else a wreakful law,
That doomes our minds, to beautie to encline:
It is a starre, whose influence doth draw
  Our heart to Love dissembling of his might,
  Till he be maister of our hearts and sight.

Love is a discord and a strange divorce
Betwixt our sense and reason, by whose power,
As mad with reason, we admit that force
Which wit or labour never may devoure :
  It is a will that brooketh no consent;
  It would refuse yet never may repent.

Love's a desire, which, for to wait a time,
Doth lose an age of years, and so doth pass
As doth the shadow sever'd from his prime;
Seeming as though it were, yet never was;
  Leaving behind naught but repentant thoughts
  Of days ill spent of that which profits noughts.

It's now a peace and then a sudden war,
A hope consumed before it is conceived;
At hand it fears, and menaceth afar;
And he that gains is most of all deceived.
  It is a secret hidden and not known,
  Which one may better feel than write upon.

Love is a smoke made with the fume of sighs;
Being purg'd , a fire sparkling in lovers' eyes;
Being vex'd, a sea nourish'd with lovers' tears;
What is it else? A madness most discreet,
  A choking gall, and a preserving sweet.
  Farewell, my coz

© R.Detobel