„SMOKING GUN"

In seiner Rezension von Kurt Kreilers Buch „Der Mann der Shakespeare erfand" schreibt Peter von Becker („Der Tagesspiegel", 6.11.2009):
„Statt Indizien würde man nach so viel Verheißungen, wenn schon kein posthumes Geständnis, so doch gleichsam die Tatwaffe erwarten; mindestens einen bisher übersehenen Schlüsseltext."
Was ich hier anzubieten habe, ist vielleicht immer noch ein Indiz, aber, glaube ich, eines das einer „Tatwaffe" doch schon einigermaßen nahe kommt.

Robert Detobel

(Siehe auch Schlüsseltext)

Wer nach einer „Tatwaffe"(dem "Smokig Gun") fragt, muss auch breit sein, sich auf eine „kriminalistische" Untersuchung einzulassen, die detailliiert und langwierig ist. Wer dazu nicht bereit ist darf auch nicht danach fragen.

DIE "TATWAFFE" („SMOKING GUN")

Die „Tatwaffe" verdanken wir der Druckergilde (Stationers' Company) und ihrem Regelwerk, unter anderem der Tatsache, dass das ausführende Organ jedes Jahr neu zu wählen war. Das ausführende Organ - man könnte es den Vorstand nennen - bestand aus einem „Master" und 2 „Wardens", einem „Oberwarden" und einem „Unterwarden". Es gab auch sowas wie einen Aufsichtsrat oder eher einen Verwaltungsrat: das „Court of Assistants", das im Rahmen der Gilde gesetzgebende, rechtsprechende und selbst polizeiliche Kompetenz besaß (es konnte, was sehr selten geschah, ein Mitglied für eine Weile ins körperschaftseigene Gefängnis sperren).

Wenn ein Drucker oder ein Verleger ein Buch drucken wollte,, musste er bei der Stationers' Company die Genehmigung der beiden oder eines der beiden Wardens einholen. Er konnte es dann auch registrieren lassen im „book of entries" des Stationers' Register; er musste nicht (bis ca. 1621 nicht), aber die Registration schützte seinen Anspruch. Die meisten Bücher wurden deshalb auch registriert. Drucker und Verleger konnte eine einzige Person sein, waren es jedoch meistens nicht. Im Prinzip war auch jeder Verleger ein Drucker, aber die Obrigkeit hatte die Zahl der in London zugelassenen Drucker beschränkt (auf etwa 24). Die zugelassenen Drucker verzichteten deshalb meist darauf, auch selber das Verlagsrecht in Anspruch zu nehmen. Dieses Verlagsrecht war nur ein „Copyright" im etymologischen Sinn, nicht im modernen Sinne: es war wirklich ein Recht, das Werk zu vervielfältigen und zu verkaufen, intellektuelle Rechte waren damit nicht verbunden; solche Rechte waren vorhanden, aber sie blieben beim Autor.

Ansonsten war das Verlagsrecht des Verlegers zeitlich unbeschränkt. Er konnte es veräußern, doch niemand konnte es ihm nehmen. Auch der Autor nicht. Es konnte aber dennoch von zwei Seiten her durch den Autor gefährdet werden. Dieser konnte ein publiziertes Werk erheblich überarbeiten und/oder ergänzen. Es entstand dann ein neues Verlagsrecht. Das Verlagsrecht des früheren Verlegers wurde zwar nicht hinfällig, verlor aber seinen Verkaufswert.

Es war in einer weiteren Hinsicht durch den Autor begrenzt. Und weil die Bibliographen dies übersehen haben, sind sie nicht in der Lage gewesen, den Eintrag des Kaufmanns von Venedig zu erklären und, logischerweise, seinen Verfasser zu identifizieren. Vielleicht konnten sie es nicht, vielleicht wollten sie es nicht können.

Ein wenig muss historisch ausgeholt werden. In den 1570er und 1580er Jahren gab es innerhalb der Stationers' Company große Unruhen. Einige Verleger hatten eine Monopolstellung und die Arbeit war schlecht verteilt. Als korporative Organisation war die Druckergilde gezwungen zu handeln. Und sie handelte. Es wurden im Laufe der Zeit eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die sich im Frühling 1588 in einer Verordnung niederschlugen. Diese Verordnung besteht aus 6 Paragraphen, die alle darauf zielten die Missstände zu lindern. Nur Paragraph 5 ist in unserem Zusammenhang von direktem Interesse. Er zielt darauf zu verhindern, dass gewisse Verleger Verlagsrechte horteten.

Paragraph 5 besagt, dass wenn ein Werk vergriffen, „out of print" ist und der Verleger nicht nachdrucken lässt, dieser Verleger zum Nachdrucken aufgefordert werden soll; hat er dann nach 6 Monaten immer noch nicht mit dem Nachdrucken begonnen, erhält jedes andere Mitglied der Stationers' Company das Recht, eine Ausgabe des Werkes zu drucken. Der Inhaber des Verlagsrechts wird dann proportional an den Einnahmen dieser Ausgabe („one impression") beteiligt; das Verhältnis wird von den Wardens festgesetzt.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Ausdruck „out of print" nicht nur den Begriff „vergriffen" einschließt, sondern auch den Erstdruck; denn auch durch das Verzögern des Erstdrucks konnte ein Verlagsrecht gehortet werden. Diesen Begriff „noch nicht im Druck" auszuschließen, hieße die Intention des Paragraphen 5 dieser Verordnung unterlaufen.

Allerdings war Paragraph 5 nicht uneingeschränkt anwendbar. Es gab eine, und nur eine einzige, Einschränkung. Der Par. 5 war nicht anwendbar, „if there was hindrance by the author", also wenn der Autor zu Nachdruck oder Druck von seiner Genehmigung abhängig machte.

Da nun aber die Wardens jährlich neu gewählt wurden, musste der Eintrag einen Vermerk enthalten, der spätere Wardens informierte, dass diese Genehmigung des Autors als Bedingung vorlag. Dafür lassen sich einige Beispiele aufführen, die deutlicher sind als der Eintrag des Kaufmanns von Venedig. Aber auch dieser Eintrag am 22. Juli 1598 warnte die Wardens deutlich genug:

Entred for his copie under the handes of bothe the wardens, a booke of the
Marchaunt of Venyce, or otherwise called the Jewe of Venyce, Provided, that yt bee not prynted by the said James Robertes or anye other whatsoever without lycence first had from the Right honorable the lord Chamberlen.

Man kann zunächst fragen, was vermutlich passiert wäre, wenn der Eintrag die (von mir) fettgeschriebene Klausel nicht enthalten hätte, denn James Roberts wartete wirklich sehr lange mit dem Druck. Erst im Oktober 1600, mehr als 2 Jahre später, übertrug er das Verlagsrecht einem anderen, für den er, Roberts, es dann druckte (wahrscheinlich schon vorher gedruckt hatte). Ohne diese Klausel hätte gleich welcher anderer Verleger oder Drucker an die Stationers' Company mit der Bitte herantreten können, das Stück zu drucken. Das wäre vermutlich auch geschehen, denn The Merchant of Venice war ein populäres Stück. Die Wardens hätten 1599 oder 1600 James Roberts aufgefordert, mit dem Nachdruck zu beginnen. Hätte er es abgelehnt, weil er auf die Genehmigung des Autors warten musste und es am 22. Juli 1598 unterlassen hatte, das den Wardens mitzuteilen. Gleich welcher anderer Drucker hätte dann das Stück 1599 oder vor Oktober 1600 drucken können. Und sagt uns ja die Klausel: weder James Roberts noch welcher anderer auch immer soll es drucken, solange nicht die Genehmigung des Lord Chamberlain vorliegt. Aber die einzige Bedingung, die nach dem Regelwerk der Stationers' Company, die Anwendung des Paragraphen 5 außer Kraft setzen konnte, war die „licence of the author", die Genehmigung des Verfassers.

Das wussten nun die Wardens der kommenden Jahre: wir können Par. 5 der Verordnung von 1588 nicht anwenden. Sie wussten auch, dass der Autor der Lord Chamberlain war. Sie wussten nur nicht, welcher Lord Chamberlain das nun war, ob das Lord Hunsdon, Lord Chamberlain of the Royal Household war, dessen Titel meist zu Lord Chamberlain abgekürzt wurde, oder Edward de Vere, Lord Great Chamberlain of England war, dessen Titel gelegentlich auch zu Lord Chamberlain abgekürzt wurde, denn im Prinzip konnte jeder Lord, der ein Kämmereramt bekleidete, als Lord Chamberlain bezeichnet werden. 1598 waren es aber nur zwei (unter Jakob I. waren es 3), die beiden genannten. Das wird die Wardens vermutlich wenig interessiert haben. Was sie brauchten, war ein Vermerk, dass Par. 5 auf The Merchant of Venice nicht anwendbar war, weil die Genehmigung des Autors noch nicht vorlag.

Es wurden noch eine weitere Vorkehrung getroffen, einen unerwünschten früheren Druck trotz der Klausel zu verhindern. Es konnte nämlich geschehen, dass ein anderer Verleger ein Theatermanuskript ergatterte und es unter dem Titel, unter dem es wahrscheinlich aufgeführt, The Jew of Venice drucken ließe. Das geschah im Falle des Hamlet 1603. Auch Hamlet wurde im Juli 1602 von James Roberts und erst Ende 1604 gedruckt. Aber im Eintrag fehlte eine solche Klausel; deshalb konnte ein Verleger, dem ein (erheblich kürzeres und sprachlich vereinfachtes) Theatermanuskript in die Hände gefallen war, es 1603 drucken lassen. Ich bin darauf allerdings in den im PS angegebenen Quellen eingegangen.

Nicht eingegangen bin ich auf die wahrscheinlich interessanteste Frage: Warum war Edward de Vere bemüht, auf keinen Fall eine andere als die von ihm autorisierte Fassung in den Druck gelangen zu lassen? Ich vermute, dass das Stück in einer wesentlich mehr dem populären antisemitischen Geschmack entgegenkommenden Fassung 1594 während der Lopez-Affäre aufgeführt wurde, vermutlich mit Anspielungen darauf (im Stück, wie wir es jetzt haben, fehlt jegliche Anspielung). Ich habe einige Gründe zu dieser Annahme.

Nun gut. Erst einmal ist der Autor identifiziert, denn Lord Hunsdon bringt so gut wie nichts (ich bin aber fast sicher, dass der auch noch einmal als Kandidat auftauchen wird, so wie Lord Brooke, Fulke Greville, der sich durch seinen eigenen Sonettenzyklus „Celica" und seine Haltung gegenüber dem „public stage" restlos außer Gespräch gebracht hat) mit.

Außerdem habe ich das Argument mithilfe von Francis Meres' „Comparative Discourse" zusätzlich schärfer gestellt. Meres erzählt uns: Edward de Vere und Shakespeare sind identisch (von Lord Hunsdon ist nicht die Rede). Da man sich dafür jedoch erst durch den Wust ziemlich geistloser Aufzählungen des Francis Meres durchschlagen muss, verzichte ich darauf und verweise auf die Quellen.

PS:

Nachzulesen ist diese Argumentation( einschl. der Analyse des „Comparative Discourse" des Francis Meres) im 10. Band des „Neuen Shake-speare Journals", einer seit 1997 erscheinenden,  oxfordianischen Publikation.

© R.Detobel

Literatur


Robert Detobel
Wie aus William Shaxsper William Shakespeare wurde
Buchholz in der Nordheide, 2005
Band 10 des Neuen Schake-Speare Journal
"Die Registration des Kaufmann von Venedig", S.90 ff.

Robert Detobel
"Der 22. Juli 1598: Ein Tag in der Geschichte der Stationers' Company"
S.10 ff. in Band 6 des Neuen Schake-Speare Journal
Buchholz in der Nordheide, 2001


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