Das Gegengeschäft

In seiner Rezension von Kurt Kreilers Buch „Der Mann der Shakespeare erfand" schreibt Peter von Becker („Der Tagesspiegel", 6.11.2009):
„Der unbedeutende, für den theaterinteressierten Earl womöglich aber nicht unbekannte Schauspieler Shakspere hätte darum sein Strohmann sein können. Das aber ist auch in Kreilers umfänglicher Studie durch keinen Vertrag oder ein belegbares (Gegen-)Geschäft direkt zu beweisen."

Mehr Einsicht kann aus Reflexionen über die Frage gewonnen werden, warum de Vere überhaupt einen Strohmann brauchte. Dies ist Gegenstand einer weiteren Untersuchung (Die Maske Shakespeare - Pseudonym oder Strohmann), dann gewinnen auch die folgenden Ausführungen an Plausibilität.

Robert Detobel

Das Gegengeschäft

Nur ein einziger Ansatz zu einem solchen hypothetischen Nachweis existiert meines Wissens und Erachtens. Am 25. November 1612 macht die Countess of Oxford (Elizabeth Trantham, 1563 -1613, Edward de Vers Witwe) ihr Testament. Es enthält die Bestimmung:

„I give to my Laundrie maide fortie shilling{es}. To Katherine Three poundes. To Gallantyne the frenchman that serveth me five poundes. To (blank) Thoroughgood five poundes. To Thomas my Taylo{u}r dwellinge w{i}th mee five markes. To Thomas my Coachman five markes. To Iohn Bill my late servant five poundes. Item I give vnto my dombe man yearelie duringe his life (blank) powndes, to bee paide him by my Executors quarterlie at the foure most vsuall feast{es} of the yeare by even and equal porc{i}ons."

Sie gibt also ihrem "stummen Mann" quartalsweise (Quartale wurden meist nach Feiertagen bestimmt: Ostern, Mittsommer, Sankt Michael, Weihnachten) eine noch zu bestimmende Summe, die er bis zu seinem Lebensende erhalten wird. Der „stumme Mann" hätte ja Shakspere sein können. Alle anderen Beschenkten sind namentlich genannt. Er nicht. Alle anderen haben der Countess gedient. Er offenbar nicht. Zumindest nicht als Kutscher oder Schneider, sondern nur dadurch, dass er „stumm" bleibt. Schweigegeld.

Anfang Januar 1613 stirbt die Countess. Am 10. März 1613 kauft Shakspere, von dem sonst nur Geschäfte in Stratford nachweisbar sind, auf einmal ein Haus im Blackfriars-Viertel (hat nichts mit dem Blackfriars-Theater zu tun, wie z.B. der Bestsellerautor Bill Bryson uns verbestsellen will). Reiner Zufall? Aber Shakspere ist nicht die einzige Partei auf der Käuferseite. Es gibt drei Treuhänder, „Trustees", Besitzer „to the use of Shakspere", wie es damals noch häufig hieß. Das bedeutet, dass diese Treuhänder bestimmte Funktionen für Shakspere zu erfüllen haben. Es sind: John Hemmings und zwei seiner engen Freunde, John Jackson und William Johnson, der Wirt der Mermaid-Taverne (ich verzichte auf Quellenangaben, nenne lediglich die Autoren der Quellen, Leslie Hotson und Mark Eccles). John Hemmings, der 1624 als einer der Herausgeber des First Folio firmieren wird, ist ein Schauspieler, ein Eingeweihter in die Vertuschung. Damit wäre Shakspere wieder unter Kontrolle. Denn ohne Hemmings und die beiden andren kommt er, der er in Stratford wohnt nicht aus. Nicht nur müssen die Treuhänder die Miete für das Haus einnehmen, sie sind nach dem Common Law auch die gesetzlichen Eigentümer (Statute Quia Emptores oder zweites Statute of Westminster 1290). Common Law war nicht das einzige Recht im 16. und 17. Jahrhundert. Es gab auch noch Equity, Billigkeitsrecht (und noch einige Rechtsterritorien mehr). Nach Equity war Shakspere der Eigentümer. Aber sollte sich um das Haus herum etwas ereignen, für das die Common-Law-Gerichte die Zuständigkeit beanspruchten, z.B. ein Einbruch, hatten die Treuhänder („trustees") als Eigentümer aufzutreten. Shakspere wäre nun nicht mehr nur durch quartalsmäßige Zahlungen gebunden, sondern durch seine Abhängigkeit von den „Trustees", darunter John Hemmings. Damit wäre sein Schweigen nach dem Tod der Countess auf eine solidere Hausbesitzbasis und auf eine zuverlässigere Grundlage gestellt worden.
Das wäre die verwandelte Form des Gegengeschäfts.

Im April 1616 (nach dem heutigen Kalender eigentlich Anfang Mai) stirbt Shakspere. Eigentümer des Hauses im Blackfriars-Viertel sind jetzt Shaksperes Schwiegersohn Dr. John Hall und die Tocher Susanna. Was passiert? Im Februar 1618 übertragen Hemmings, Jackson und Johnson die Treuhand für das Blackfriars Gatehouse auf zwei andere Personen, von denen keine mit dem Theater zu tun hat. Shakspere selbst musste ja nicht mehr gebunden werden.

Diese Vorgänge ließen sich als „Gegengeschäft" begreifen.

Vielleicht noch hinzuzufügen für uns, schriftfixierte Zeitgenossen: Ein solche Abmachung zum Schweigen war vor einem Equity Court (Chancery, Court of Requests, Star Chamber) auch dann einklagefähig, wenn sie nur in mündlicher Form erfolgt war. Im Unterschied zu den Common Law Courts (King's/Queen's Bench, Common Pleas, Court of the Exchequer, letzteres allerdings kombinierte Common Law und Equity) urteilten Equity Courts nach den Fakten. Ergab sich aus den Fakten ein nachweisbares Treuhandverhältnis, galt dies als rechtskräftig. Nicht so im Common Law (noch nicht, es hat noch einige Zeit gedauert, aber das reicht über Shakespeares Zeit hinaus)

© R.Detobel