WER WAR SHAKESPEARE - ODER WAS IST IN EINEM NAMEN?

Teil 2

My mind to me a kingdom is,
   Such perfect joy therein I find
That it excels all other bliss,
   Which God or Nature hath assigned;
Though much I want that most would have,
Yet still my mind forbids to crave.

In der zweiten Szene des dritten Aktes herrscht Hamlet Rosenkranz und Güldenstern an:

 "...und in dem kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche Stimme, dennoch könnt Ihr es nicht zum Sprechen bringen. Wetter! denkt Ihr, daß ich leichter zu spielen bin als eine Flöte? Nennt mich was für ein Instrument Ihr wollt, Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen."

"... and there is much music, excellent voice, in this little organ, yet cannot you make it speak. 'Sblood, do you think I am easier to be played on than a pipe? Call me what instrument you will, though you fret me, you cannot play upon me."

(Act III, Sc. II, 358-363)

Möglichkeit ist die Lebensquelle des Künstlers

Das war im Theater. Nur im Theater könne sich die Leidenschaft der Möglichkeit erfüllen, schrieb Sören Kierkegaard. Möglichkeit ist die Lebensquelle des Künstlers, sein Glauben an die Möglichkeit seine Lebensfrommheit. "Gott ist Möglichkeit, wer Möglichkeit tötet, tötet Gott", dichtete Else Lasker-Schüler während des großen Möglichkeitstötens 14-18.

Edward de Vere wollte seine Grenzen überschreiten. Die Grenzen seines Standes und absolutistischen Staates konnte er nicht überschreiten. Er konnte im Sonett dem Freund nur klagen:

Dein Name wird durch mich auf immer ewig leben,
Mich holt der Tod für immer ewig unbeweint,
Mir kann die Erde ein gemeines Grab nur geben,
Du ruhst in aller Menschen Augen eingeschreint.

Your name from hence immortal life shall have,
Though I, once gone, to all the world must die;
The earth can yield me but a common grave,
When you entombed in men's eyes shall lie.

(Sonett 81, 5-9)

Edward de Vere hat einen Pakt geschlossen, der ihm den Namen kostete. Der Pakt [covenant?] war unglücklich, infaustus, aber unfaustisch. Er verkaufte seine Seele für die Allmacht nicht. Er verkaufte seinen Namen für die Möglichkeit nur - die seine Seele war. Er schloß den Pakt nicht mit dem Teufel, sondern mit der Königin, die auch ihre Grenzen erkennen mußte. Wir kennen den Pakt. Wir können versuchen, ihn zu lesen.

 [Hier der Wortlaut:

Elizabeth, etc., to the Treasurer and Chamberlains of our Exchequer, Greeting. We will and command you of Our treasure being and remaining from time to time within the receipt of Our Exchequer, to deliver and pay, or cause to be delivered and paid, unto Our right trusty and well beloved Cousin the Earl of Oxford or to his assigns sufficiently authorized by him, the sum of One Thousand Pounds good and lawful money of England. The same to be yearly delivered and paid unto Our said Cousin at four terms of the year by even portions: and so to be continued unto him during Our pleasure, or until such time as he shall be by Us otherwise provided for to be in some manner relieved; at what time our pleasure is that this payment of One Thousand Pounds yearly to our said Cousin in manner above specified shall cease. And for the same or any part thereof, Our further will and commandment is that neither the said Earl nor his assigns nor his or their executors nor any of them shall by way of account, imprest, or any other way whatsoever be charged towards Us, our heirs or successors. And these Our letters shall be your sufficient warrant and discharge in that behalf.]

Privy Seal

Im Jahre 1586 gewährt Elisabeth I. dem Grafen von Oxford eine jährliche Zuwendung von 1000 Pfund, eine enorme Summe, die bis auf eine Ausnahme beispiellos während ihrer Regierungszeit ist. Die eine Ausnahme soll erwähnt werden: 1000 Pfund war auch die jährliche Zuwendung, die der Gouverneur von Wales und Nordengland [richtige Bezeichnung: to the Lords President of the Councils of the North and Wales] erhielt, der Vertreter der Krone in Gebieten, die damals noch in die entstehende Nation integriert werden mußten.

In der Urkunde wird der Graf von Oxford als "unser Cousin" bezeichnet. So formelhaft die Anrede auch war, sie drückt doch Elisabeths Intention deutlich aus: der Graf von Oxford soll weiter zur Familie des Hochadels, zu ihrer "Familie" gehören. Zweitens wurde die Zuwendung "at our pleasure", "nach unserem Belieben", gewährt. Was bedeutet, daß sie jederzeit zurückgenommen werden konnte. Drittens wurde sie unter dem Geheimsiegel [Privy Seal] gewährt. Unter dem Geheimsiegel wurden alle Vergütungen für diplomatische oder geheimdienstliche Aktivitäten zur Zahlung angewiesen. Auf jeden Fall handelte es sich um eine Geheimsache. Um geheimdienstliche oder diplomatische Aktivitäten kann es sich aber nicht gehandelt haben. Denn - auch das sehr ungewöhnlich - die Zahlungen sollten vierteljährlich erfolgen. Es handelte sich demnach um eine regelmäßige, vorhersehbare Dienstleistung oder Tätigkeit und wohl nicht nur darum, wie es in der Urkunde steht, dem verarmten Grafen, der sein Vermögen nicht zuletzt durch Förderung der Künste und des Theaters ausgegeben hatte, wieder zu Landbesitz zu bringen, denn dazu reichte der Betrag wiederum nicht aus. Gewiß handelte es sich darum nicht, denn vier Jahre später ist er gezwungen, über 20 Besitzungen zu verkaufen, um seine Schulden gegenüber der Krone abzutragen. Knauserigkeit war eine der weniger angenehmen Eigenschaften der Königin.

[Quelle: John Strype, The Annals of Reformation, Oxford 1866, Vol. 3,1, p. 191-192, Sales of Edward earl of Oxford, Debts to the queen, July the 23, 1590, Debts to the queen: 11000£]

... mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen?

Andererseits erscheint Edward de Veres Name ab 1580 häufiger im Zusammenhang mit dem Theater. Er ist Schirmherr zweier Ensembles; ein drittes wird von [John Lyly] seinem Sekretär geleitet, in Wirklichkeit von ihm also. 1602 wünscht die Königin den Aufbau eines zweiten Schauspielerensembles, und wieder begegnet uns der Graf von Oxford, um die Genehmigung beim Londoner Stadtrat zu erwirken, obwohl es offiziell gar nicht um sein Ensemble geht. Schließlich finden wir um 1586 bei dem Schauspielensemble, das noch direkt im Dienste der Königin steht, Namen wieder, die vorher in Oxfords Ensemble spielten. Wir können daher annehmen, daß die 1000 Pfund für den Ausbau des Ensembles der "Queen's men" vorgesehen waren. Aus diesem Ensemble geht später das Shakespeare-Ensemble hervor. Und daß Oxford gezwungen war, einen Teil seines Einkommens aus den Schauspieleinnahmen zu bestreiten, die nicht gering waren. [Hier könnte man hinzufügen - für englische Leser - : " ähnlich wie auch der Master of the Revels praktisch kein festes Gehalt bezog (£10 jährlich), sondern sein Einkommen aus den Einnahmen seines Amtes zu bestreiten hatte -

Quelle: Richard Dutton, Mastering the Revels, Iowa City 1991, p. 51].

Hamlet:
Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüschen (wenn
meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht) nebst
ein paar gepufften Rosen auf meinen gekerbten Schuhen
mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft
verhelfen?

Horatio:
O ja, einen halben Anteil an der Einnahme.

Hamlet:
Nein, einen ganzen.

Hamlet:
Would not this, sir, and a forest of
feathers, if the rest of my fortunes
turn Turk with me, with Provincial
roses on my razed shoes, get me a
 fellowship in a cry of players?

Horatio:
Half a share.

Hamlet:
A whole one, I.

(Act III Sc. II, 269-274)

Durch diese Regelung hätte Elisabeth den Grafen von Oxford aus dem Hochadel verstoßen. Norbert Elias schreibt:

"Eine der wichtigsten Schranken, die die beiden Adelsformationen der französischen Gesellschaft, die des Schwertes und die der Robe, von der Masse des Volkes abtrennt, ist das gesetzliche Verbot, sich an irgendwelchen kommerziellen Unternehmungen zu beteiligen. Auf diese Weise sein Einkommen zu vermehren, gilt als unehrenhaft und hat den Verlust des Titels und Ranges zur Folge."

(Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 105-106, oder Kapitel IV, Abschnitt 3, 2. Absatz)

Das höfisch-aristokratische Gesellschaft war ein europäisches Modell. Dieses Verbot der kommerziellen Unternehmung galt auch in England. Oxford hätte in England nicht den Titel verloren. Aber das nutzte nicht viel. Er hätte seinen Rang verloren, nicht mehr zur "Familie" der Königin gehört. Geld in kommerzielle Unternehmungen zu investieren, wie in die Besiedlung Amerikas oder sonstige Handelskompagnien, war dem Hochadel zwar erlaubt, nicht jedoch selbst als kommerzieller Unternehmer tätig zu werden. Jakob I. machte sogar Ernennungen für Ämter der dritten Hierarchieebene mit der Begründung rückgängig, der Ernannte habe Einkommen aus dem Handel bezogen und sei daher für das Amt nicht ehrenhaft genu.

[Quelle: Aylmer, Gerald E., The King's Servants, London 1974, p. 86-87: " Ingram became Cofferer at the end of February 1615, but he was forced out of the office again in April. According to the Dictionary of National Biography and such histories of the period as touch on the episode, King James was persuaded that his plebeian origins and mercantile background made Ingram unfit for such honourable employment.]

Entweder Theater und Rang oder weder Theater noch Rang

Elisabeth nennt Oxford jedoch ihr Cousin, betrachtet ihn weiterhin als Mitglied des Hochadels. Oxfords Tätigkeit als Theatermanager mußte daher geheim bleiben. Und ein anderer mußte nach außen hin vor ihn treten. Denn selbst Elisabeth, die absolute Monarchin, wäre nicht in der Lage gewesen, dieses grundlegende Distanzierungsmerkmal [Vorschlag: discriminatory criterion] der aristokratischen Gesellschaft außer Kraft zu setzen, ohne den ganzen Adel gegen sich aufzubringen.

[Verweis auf Theodore K. Rabb, Enterprise and Empire, Merchant and gentry investment in the Expansion of England, 1575-1630, Harvard University Pres, Cambridge, MA, 1967, p. 35:

"There was no doubt in the minds of contemporaries that two quite separate social groups were combining in overseas enterprise. In 1583, writing in support of a project for the colonization of Newfoundland, Sir George Peckham considered it 'convenient that I do divide the adventurers into two sorts: the noblemen and gentlemen by themselves, and the merchants by themselves'. He said he had heard that in fact two companies were going to be stablished, one for each class. And he shaped the propaganda accordingly. For the gentry he stressed the fine climate, the conditions favorable to landowners, the crops that could be produced, and the excellent hunting, including a desciprion of a moose. For the merchants he provided a list of over 70 commodities which could bring them profit... This was the popular impression of the differences between the aims and the interests of the two classes, and it was fairly accurate in gauging the temper of most merchants, whose prime concern was, naturally, for trade"] Sie ermöglichte Oxford seine Leidenschaft, im Theater zu leben. Oxford hatte keine andere Wahl: entweder Theater und Rang oder weder Theater noch Rang.

Hier wird William Shakespeare geboren. Aber der Name Edward de Vere mußte untergehen, mußte sterben.

Warum ausgerechnet William Shakespeare aus Stratford?

Das erste, was ein Hofmann zu lernen habe, hatte Castiglione geschrieben, sei das Waffenhandwerk. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts [Änderung es Originaltextes: genauer: Noch in der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts, genau 1631] stellte der französische Adelige Scudéry einem Bühnenstück ein Vorwort voran, in dem er erklärte, er habe Soldat sein wollen, sei nun Dichter, doch sei Dichten ihm nur ein angenehmer Zeitvertreib, wenn er mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen wisse. Im übrigen habe er für die Veröffentlichung kein Geld genommen. Wir können quer durch Westeuropa und in der Zeit zurückwandern und ähnliche Äußerungen von Adeligen finden. Wir können bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, bis zum Anfang der höfischen Kultur zurückreisen. Wir sind in Deutschland und hören Hartmann von Aues Prolog zu Iwein:

"Ein Ritter, der gelehrt war/ und aus den Büchern las/ wenn er seine Stunden/nicht besser verwenden konnte/pflegte auch zu dichten".

Die Verbindung von Soldaten- und Literatentum verdichtet sich zum Bild von "Schwert und Feder". Um 1530 dichtet der spanische Ritter Garcilaso de la Vega: "Bald greife ich zum Schwert, bald zur Feder".

In England bürgert sich eine Variante ein: "Speer und Feder". Um 1570 schreibt der Ritter George Gascoigne: "Dichter sein mit dem Speer, mit der Feder kämpfen, mit dem Schwert schreiben."

"poet with a spear..., a Soldier armed, with pencil in his ear, with pen to fight, and sword to ride a letter"

(Gascoigne, Works II)

In [hier: "in John Lyly's 1584 veröffentlichten Bühnenstück] einem 1584 veröffentlichten Bühnenstück belehrt ein General Alexander den Großen, der sich in die schöne Campaspe verliebt hat und ihr völlig hörig wird: "Willst du wie Herakles am Webstuhl spinnen, wo du mit Achilles den Speer schütteln sollst".

"Will you handle the spindle with Hercules, when you should shake the speare with Achilles? Is the warlike sound of drumme and trumpe turned to the soft noyse of lire and lute?"

(Act II, Sc. II, 34-36).

1578 wird der junge Edward de Vere von einem pedantischen Rhetoriker der Universität Cambridge [hier vielleicht schreiben: "the pedantic orator Gabriel Harvey"] gelobt und aufgefordert:

"Viele lateinische Verse habe ich von Euch gelesen und noch mehr englische. Ihr habt manchen tiefen Schluck von den Musen Italiens und Frankreichs getrunken... Oh, Ihr rühmenswerter Held, werft die unbedeutende Feder fort, jetzt muß das Schwert ins Spiel gebracht werden...Eure Augen sollen Feuer speien, Eure Gestalt soll Speere schütteln."

"Mars will obey thee, Hermes will be thy messenger, Pallas striking her shield with her spear shaft will attend thee. For a long time past Phoebus Apollo has cultivated thy mind in the arts...I have seene many Latin verses of thine, yea, even more English verses are extant; thou hast drunk deep draughts not only of the Muses of France and Italy... O thou hero worthy of renown, throw away the insignificant pen, throw away bloodless books... Thine eyes flash fire, thy countenance shakes spears, who would not swear that Achilles had come to life again?"

(Quoted from, Ogburn, Charlton, The Mysterious William Shakespeare, McLean, VA, p. 597).

Will-I-am, Wille-bin-ich

Der Name Shakespeare war ein ironisch-poetischer Signifikant für einen Adeligen, der geachtet wurde, mit der Waffe zu kämpfen, sich jedoch der Literatur verschrieben hatte.

Und ebenso der Name William.

"Will", "William", "Willy" scheint der Hirtenname von Edward de Vere gewesen zu sein. Sich mit einem Hirtennamen anzureden, war unter Pastoraldichtern üblich. Der Brauch wurde von vielen Schriftstellern übernommen. Thomas Nashe spricht vom Grafen von Oxford unter den Tarnnamen Will Monox und Meister William.

In einigen Sonetten spielt Shakespeare selbst auf die poetische Bedeutung des Namens an:

"Nur meinen Namen lieb, und lieb ihn still,

Dann liebst du mich, ist doch mein Name Will."

Sonnet 136, l. 13-14:

Make but my name thy love, and love that still,
And then thou lov'st me, for my name is Will.

Shakespeares Sonette legen uns nahe, auch den Namen William als poetischen Signifikanten zu verstehen: Will-I-am, Wille-bin-ich.

Aus Wille-bin-ich , Will-I-am Shake-speare, wurde dann, ohne Bindestriche, William Shakespeare.

Und aus William Shakspere, dessen Name sich ursprünglich ohne das "e" von "shake" und ohne das "a" in "speare" schrieb, wurde ebenfalls William Shakespeare. Eine solche Namensumschreibung war in einer Zeit, da die Rechtschreibung nicht festlag und ein Eigenname die verschiedensten Schreibweisen annehmen konnte, völlig unproblematisch. Den Namen Shakespeare, zumal mit Bindestrich, wie er mehrmals geschrieben ist, hätten die Zeitgenossen zu leicht als Pseudonym für einen Adeligen erkannt. Der poetische Signifikant mußte deshalb von einem Namen im modernen Sinne überlagert werden. Die Raubdrucker von Shakespeares Werken ließen sich dennoch nicht täuschen. Sie schrieben den Namen auch dann weiter mit Bindestrich, als bereits Werke unter dem Namen ohne Bindestrich erschienen waren. Wie im Falle des Chrestien de Troyes wurde hinter einem Namen, der wie ein herkömmlicher Name, ein beliebiges Zeichen aussieht, ein Name versteckt, der ein semantisches Zeichen setzt.

...und wenn er aufgefordert wurde zu schreiben, war es ihm peinlich

Welche Rolle spielte William Shakespeare? Er hatte den nahezu richtigen Namen, wohnte in Stratford und, wie es die wenigen und zudem fragwürdigen Unterschriften, die von ihm erhalten sind, und die Tatsache, daß er sonst zur Beglaubigung von Urkunden nur sein Siegel verwendete, zeigen: er konnte kaum schreiben. Das waren die denkbar besten Voraussetzungen. Seine Rolle war: in Stratford bleiben, möglichst wenig nach London kommen, und wenn doch, nach Möglichkeit Literatur- und Theaterkreise meiden.

Man muß bedenken, daß in London bereits 1594 die Werke Venus und Adonis und Lucrezias Schändung unter dem Namen William Shakespeare erschienen waren, die seinen literarischen Ruhm begründeten. Man muß weiter bedenken, daß ein biographisches Interesse an einem Ort, wo die Person nicht lebte, nicht vorhanden war. Robert Greene war ein berühmter Schriftsteller. Er wurde auch außerhalb Londons gelesen. Als 1603 die Königin stirbt, schreibt ein literarisch interessierter Leser in der Provinz ein Gedicht, in dem er Greene vorwirft, kein Klagelied auf die Verstorbene verfaßt zu haben. Greene war bereits über zehn Jahre tot.

[Dieser anonyme Vers aus: Chambers, E.K., William Shakespeare, Vol. II, Oxford 1963, p. 212:

      some other humbly craves
For helpe of Spirits in their sleeping graves,
As he that calde to Shakespeare, Iohnson, Greene,
To write of their dead noble Queene.     

Umgekehrt bestand in London und anderswo kein Interesse daran, was William Shakespeare in Stratford trieb. Die Gefahr lag in Stratford. Und dort kannten einige Leute bestimmt den Namen des Dichters. Nicht zuletzt der Drucker jener beiden langen Gedichte, der aus Stratford stammte. Daß der Stratforder Kaufmann, der nicht schreiben konnte, eine gute Wahl war, zeigt allein die Tatsache, daß ihn in Stratford niemand mit dem Dichter in Verbindung brachte, nicht einmal nachdem sein Monument errichtet worden war. Die Gefahr, daß die Tarnung in Stratford aufflog, wäre bei einem etwas gebildeten und literarisch Interessierten ungleich größer gewesen. Ein Schreibschwacher konnte das Geheimnis nicht ausplaudern und sagen: "In Wirklichkeit habe ich den Hamlet nicht geschrieben". Oder umgekehrt sagen: "Ich bin es, der den Hamlet geschrieben hat." Er hätte sich in die peinliche Lage gebracht, gefragt zu werden: "Ja, können Sie denn...?". Und niemand ist wegen des Namens auf die Idee gekommen, ihn zu fragen.

Nach London mußte er aber dreimal als Strohmann für den Theatermanager kommen und zurückgezogen leben. Das war 1598 für den Kauf des Globe-Theatre; 1603, als das Ensemble wieder in den königlichen Dienst genommen wurde; und 1608 für den Kauf des Blackfriars-Theatre. In den beiden ersten Fällen mußte er länger in London bleiben. Die Globe-Verhandlungen zogen sich hin und die Krönungsprozession verschob sich wegen der Pest um ein Jahr. Wir wissen noch aus zwei anderen Quellen, daß Shakespeare dann längere Zeit in London war; aus beiden Quellen wissen wir, daß er keinen festen Wohnsitz in London hatte. Um 1680 bestätigt ein Schauspieler, der Shakespeare kaum gekannt haben kann, aber wahrscheinlich die Information von seinem Vater hatte, der ebenfalls Schauspieler war, einen Teil der Strategie:

"Shakespeare war nicht liederlich, keiner, der Gesellschaft suchte, und wenn er aufgefordert wurde zu schreiben, war es ihm peinlich."

"he was not a company keeper... wouldnt be debauched, & if invited to writ; he was in paine."

Chambers, E.K., Vol. II, p. 252

Tod in der Kneipe

Nach Edward de Veres Tod wurde Shakespeares Rolle schwieriger. Es war ein makabrer pas de deux nach der Melodie eines Namens mit Kontrapunkt. Der Name Edward de Vere starb von den Werken ab und diese gingen auf William Shakespeare über. Aber damit der poetische Signifikant Shakespeare im Bühnenwerk zu vollem Leben kommen konnte, mußte jener Shakespeare, der den Namen als beliebiges Zeichen trug, selber sterben!

Wie die Geschichte weiterging, kann man anhand der bekannten Fakten zu rekonstruieren versuchen. Die Rekonstruktion trägt den banalen Titel: Tod in der Kneipe.

Zwei Schriftsteller spielen eine Rolle. Ben Jonson und Michael Drayton. Letzterer ist in der Nähe von Stratford geboren, weilt dort häufiger in der Zeit um Neujahr und ist zudem Patient von Shakespeares Schwiegersohn, dem Arzt Dr. Hall. Ein guter Beobachtungsposten. Shakespeare hat im Januar 1616 sein Testament geschrieben, offenbar noch bei guter Gesundheit und bestem Gedächtnis. Trotz bestem Gedächtnis erinnert er sich nicht mehr an den sakrosankte Brauch in Schauspielertestamenten, den Mitgesellschaftern, den "fellows", und Schauspielerkollegen eine Summe für den Kauf eines goldenen Ringes als Andenken an den Verstorbenen zu hinterlassen. Nichts steht drin über das, was mit den seinen Anteilen geschehen soll. Außerdem will er sein Testament nicht eigenhändig unterschreiben, sondern nur sein Siegel aufdrücken. Das Testament ist ein absolutes Unikum unter Schaupielertestamenten jener Zeit. Fast hätte er die ganze Täuschung zum Schluß auffliegen lassen. Wir nehmen an, daß Drayton von dem Testament erfährt und Ben Jonson, der später die Herausgabe des Shakespearschen Gesamtwerkes beaufsichtigt, verständigt. Den Rest wissen wir aus einem Zeugnis, das ein Stratforder Vikar 1663, 47 Jahre später, abgibt:

"Shakespeare, Drayton und Jonson hatten ein fröhliches Treffen, bei dem zu arg getrunken wurde, denn Shakespeare starb an einem Fieber, das ihn dabei befiel..."

"Shakespear, Drayton, and Ben Jhonson, had a merry meeting, and itt seems drank too hard, for Shakespear died of a feavour there contracted..."

(Chambers, Vol. II. p. 250)

Ben Jonson und Michael Drayton hatten das Hindernis aus dem Weg geräumt, geschwemmt, gezecht. Shakespeare starb etwa vier Wochen später. Das Testament wurde in aller Eile geändert. Die Schenkung an die "fellows", die Mitgesellschafter, wurden zwischen die Zeilen hinzugeschrieben. Das Wort "Siegel" [seal ] wurde durch "eigenhändig" [hand] ersetzt. Zu groß war die Eile. Das Testament bleibt ein Unikum, weil es uns zwar zu glauben bedeutet, Shakespeare sei ein Gesellschafter, aber nach wie vor nichts darüber aussagt, was mit den Anteilen geschehen soll.

Der Vikar berichtete auch noch dies über Shakespeare: "Er schrieb jedes Jahr zwei Stücke für das Theater und erhielt dafür eine so große Zuwendung, daß er jährlich 1000 Pfund ausgab, wie ich habe sagen hören."

" and supplied ye stage with 2 plays every year, and for yt had an allowance so large, yt thee spent att ye Rate of a 1,000l a year, as I have heard."

(Chambers, Vol. II, p. 249)

Sagen hören hatte es der Vikar wahrscheinlich als ein Gerücht. Derjenige, der die 1000 Pfund fürs Theater erhielt, war William Shakespeare, der poetische Signifikant. Der Nur-Name und der poetische Name waren "von der grimmigen Hand der Zeit" (Time's fell hand - Sonnet 64) und vom Hörensagen zu einem verweht.

Er hatte sein Königreich in seinem Inneren gegründet

Der Graf von Oxford hatte sich gegen die höfisch-aristokratischen Zwänge im Namen der individuellen künstlerischen Selbstbestimmung aufgelehnt. Er hatte sein Königreich in seinem Inneren gegründet.

150 Jahre später zieht eine kulturelle Revolte der Mittel­schichten gegen die nach wie vor an aristokratischen Werten orientierte Oberschicht herauf. Im Namen der Innerlichkeit, des in seinen Gefühlen authentischen Subjekts. In Shakespeare erkennen sie ihren Verbündeten und wünschen ihn lebensnah herbei.

Doch! ("betont als "gewiß").
Doch, (betont als "aber").
Sie wollten ihn mit Leib und Seele.
So war die Intention.
Die Seele war, der Leib sollt' kommen.
Für ihre Kommunion.
Beharrlich suchten sie und fanden
ein leeres Allerlei.
Von Leib und Seele blieb bloß Name
für eine Litanei

ENDE

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