Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord Chamberlains

XV. WAS WAREN DIE WIRKLICHEN UNMITTELBAREN ANLÄSSE FÜR DIE SCHREIBEN DER LORD CHAMBERLAINS?

Wenn es den Lord Chamberlains in erster Linie um die Ausdehnung des eigenen Kompetenzbereichs ging und nicht darum, die Bühnenstücke vor einer vermeintlichen Drucklegung zu schützen, so muss man die Frage stellen, was denn den 3. Earl of Pembroke 1619 und 1623, seinen Bruder und Nachfolger, den 4. Earl of Pembroke 1637 und den 3. Earl of Essex 1641 gerade zu jenen Zeitpunkten tatsächlich bewogen haben könnte, diese Briefe zu schreiben. Anders gefragt: lässt sich um diese Zeit ein Ereignis oder lassen sich eventuell mehrere Ereignisse ausfindig machen, die plausibel als Auslöser betrachtet werden können?

Am erkennbarsten ist das auslösende Ereignis beim Brief om 10. Juni 1637: er wird 1 Monat und 1 Tag vor der Verabschiedung des zweiten Star Chamber Decree vom 11. Juli 1637 geschrieben. Danach genehmigt der Master of the Revels, Sir Henry Herbert, kein einziges Bühnenstück mehr und nur noch ein einziges bei Hofe aufgeführtes Maskenspiel. Auch faktisch sind jetzt wieder, wie vor 1607, die episkopalen Zensoren zuständig, an deren Spitze der Bischof von London und vor allem der Erzbischof von Canterbury Wiliam Laud, Pembrokes politischer Widersacher, stehen. Aus dem Brief wird auch die Intention Pembrokes sichtbar, über Laud hinweg seine „authority" vom Kronrat oder direkt vom König legitimieren zu lassen.

Der Brief vom 3. März 1623 William Herberts, des 3. Earl of Pembroke, hängt vermutlich mit der Ablösung Sir George Bucs als Master of the Revels durch John Astley und wahrscheinlich mehr noch mit der Ablösung des letzteren durch Pembrokes Verwandten Sir Henry Herbert am 20. Juli 1623 zusammen. In diesem Schreiben wurde eine Erweiterung der Kompetenzen des Master of the Revels gefordert. Pembroke hatte mit dieser Forderung zunächst Erfolg, was vielleicht daran gelegen haben könnte, dass er und der damalige Erzbischof von Canterbury, George Abbot, sich politisch nahe standen. 1625 wurde William Herbert Lord Steward of the Household; sein Bruder Philip, 1. Earl of Montgomery, wurde sein Nachfolger als Lord Chamberlain of the Royal Household und 1630 als 4. Earl of Pembroke. 1633 starb George Abbot, Nachfolger wurde William Laud.  

Was könnte den 3. Earl of Pembroke bewogen haben, den Brief vom 3. Mai 1619 zu schreiben? Mindestens einmal während seiner Amtszeit musste er seinen Anspruch auf Einflussnahme auf die Stationers' Company dokumentieren. 1619 gab es einige Anzeichen, dass er bald aus dem Amt des Kämmerers des königlichen Haushalts ausscheiden würde. Im Sommer kursierten Gerüchte, dass er neuer Lord Treasurer und sein Bruder neuer Lord Chamberlain werden würde. „There is a rumor likewise that the Lord Chamberlain is in election to be Lord Treasurer, the earle of Montgomerie to be Lord Chamberain, and captain of the pencioners by surrender of the Lord Walden." (John Chamberlain, letter of August 8, 1618 in The Letters of John Chamberlain. Ed. Norman Egbert McClure. Vol. II. Philadelphia 1939, S. 163). Am 27. März 1619 berichtet derselbe John Chamberlain, das Jakob I. schwer erkrankte und erwartete zu sterben. „Most of the court Lords as the Duke [of Lennox], earles of Arundell, Pembroke, and Montgomerie, the vicount Doncaster and others were gon post to the King upon notice of a violent fit of the stone..." (Ebenda, S. 225). Eine Thronnachfolge wäre mit einer Umbesetzung der Ämter einhergegangen (wie sie dann 1625 bei Karls Thronbesteigung auch stattfand). Auch das könnte ein Auslöser gewesen sein.

De 3.  Earl of Essex trat das Amt im Juli 1641 an. Er war ein unsicherer Kantonist. Seine Berufung in das Amt verdankte er nicht seiner Loyalität zum König, sondern dessen Argwohn ihm gegenüber. Im März 1641 gehörte er zu denen, welche die Verurteilung und Hinrichtung des königstreuen Thomas Wentworth, Earl of Strafford, betrieben hatten. Er wurde in das Kämmereramt berufen, damit König Karl I. ihn im Auge behalten könne. Es nutzte nichts. Als Karl im Januar 1642 das Parlament stürmte um John Pym, den Führer der Parlamentarier, und vier seiner Mitstreiter zu verhaften, lief er ins Leere. Die fünf waren geflohen. Pym, vermutet man, war von seinem Freund Essex, des Königs eigenem Kämmerer, rechtzeitig gewarnt worden. Als kurz darauf Karl London verließ und sich in York niederließ, blieb Essex im London. Im April wurde er als Lord Chamberlain entlassen. Es ist zumindest keine unplausible Hypothese, dass Essex selber wusste oder ahnte, wie kurz seine Verweildauer im Amt sein würde.

© 2010 R.Detobel


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