James Shapiro. Contested Will. London: Faber & Faber 2010.
15. April 2010:
Abschnitt: "The evidence for Shakespeare",
S. 255-6:
"Diejenigen, die Shakespeares Verfasserschaft der Stücke in Frage stellen, kommen nie zu Rande, wenn erklärt werden soll, wie sich diese angebliche Verschwörung gestaltet hätte. Hier herrscht wenig Einigkeit und noch sparsamer sind die Einzelheiten, trotz der Tatsache, dass soviel von der Beantwortung dieser Frage abhängt: Es ist daher nicht einfach zu wissen, wo eine Widerlegung ansetzen sollte. Jene halten dafür, dass nur Shakespeare und der wirkliche Verfasser eingeweiht gewesen seien. Am anderen Ende befinden sich diese, die von einem „offenen" und so gut bekannten Geheimnis ausgehen, dass es der Erwähnung nicht wert gewesen sei. Die meisten Zweifler wischen die überwältigende Evidenz der Titelseiten dieser Dutzende Veröffentlichungen mit der These beiseite, Shakespeare - oder, wie es einige gern hätten, 'Shake-speare' - sei schlicht das Pseudonym eines anderen Dichters gewesen - wobei der Bindestrich Bände spräche."
Im Zusammenhang mit der Prince-Tudor-These erwähnt Shapiro lobend, wie der Ende 2007 verstorbene Oxfordianer Peter Moore 1996 die oxfordianischen Anhänger der Prince-Tudor-Theorie auffordert, den Realitäten, die gegen diese Theorie sprechen, ins Auge zu sehen, und so sie die schwerwiegenden Argumente gegen diese Theorie nicht entkräften können, ihre Theorie für sich zu behalten. „As Peter Moore bluntly told his fellow Oxfordians at their annual conference in 1996: 'Face reality on this "Prince Tudor" business, and submit it to proper historical scrutiny... If you can't make or listen to the strongest arguments that can be made against your own theories, then you'd better keep them to yourself.'" (S. 245-6).
Das Zitat stammt aus Peter Moores Referat "Recent Developments in the Case for Oxford as Shakespeare" bei der zwanzigsten Jahreskonferenz der amerikanischen Shakespeare-Oxford-Gesellschaft vom 10.-13- Oktober 1996. Das Zitat ist zwar nicht aus dem Zusammenhang gerissen, aber wenn man es vollständig zitiert kann man etwas mehr als die Prince-Tudor-Theorie in den Zusammenhang heimholen, und zwar vor allem Moores letzter Halbsatz in Klammern, der, wie hier noch versucht wird zu zeigen, durchaus auch für Shapiro zutrifft.
Es ist weit unerfreulicher, schreibt Peter Moore, wenn Ihre Gegner sie in aller Öffentlichkeit durchbohren, als wenn das Ihre Freunde im privaten Kreis tun. Wenn die Prince-Tudor-Anhänger also ihre Theorie nicht besser absichern können, als sie es bisher zu tun in der Lage gewesen sind, sollten sie damit nicht coram publico hausieren gehen. Und das gelte ebenso für gewisse stratfordianische Professoren - in die ich wegen mancher Stellen seines letzten Buches Shapiro einschließe.
„Face reality on this "Prince Tudor" business, and submit it to proper historical scrutiny. Always try to make the strongest arguments you can against your own theory, or ask your friends to do so (as I was taught to do as a graduate student in economics). It's far more unpleasant to have your enemies shoot holes in you in public, than to have your friends do it in private. If you can't make or listen to the strongest arguments that can be made against your own theories, then you'd better keep them to yourself (this also applies to some Stratfordian professors)."
Peter Moore war ein Gentleman. Hätte er etwas mehr proletarisches Polterblut in den Adern gehabt, er hätte jenen stratfordianischen Professoren zurufen können: Wenn Sie sich auf ein Terrain wagen, das außerhalb der Grenzen ihres spezifischen Wissensgebiets liegt, dann, bitte, erkundigen Sie sich doch erst einmal bei jenen Wissenschaftlern, die diese Gebiete berufsmäßig bearbeitet haben, denn sonst werden Sie nichts anderes sein als palavernde Amateure, mitnichten fachmännisch, sondern bestenfalls flachmännisch.
Einer, bei dem sich Shapiro in puncto „Verschwörungstheorien" hätte erkundigen sollen, ist eben jener Peter Moore, der in seinem Aufsatz „The Stella Cover-up" seine Mit-Oxfordianer dazu anhält, sich ernsthafter auf das soziale Kräftespiel der Zeit zu konzentrieren, anstatt nach aufregenden Verschwörungen zu schnüffeln. Der Aufsatz ist hier zu finden. oder hier (ab S. 14).
Im „Neuen Shake-speare Journal", Band 9, „Verschwörungstheorien", 2004, ist eine hervorragenden Übersetzung von Stefanie Holzer unter dem Titel „Das Stillschweigen um Stella" erschienen. Der gleiche Band enthält meinen Aufsatz „Schweigen und Sub-Versionen in der höfischen Öffentlichkeit", aus dem ich mir eine Stelle zu zitieren erlaube:
„Eine solche Kommunikationsform erzeugt von sich aus Zensuren. Die von ihr herbeigeführte Öffentlichkeit ist eine andere als die heutige. Auf einen handlichen Ausdruck gebracht, heißt heute Öffentlichkeit, daß Roß und Reiter genannt werden, Dinge ans Licht gebracht, möglichst ins Rampenlicht der Medien. Bei einer Kommunikationsform, die sich bevorzugt der Allegorie oder einer ihrer Spielarten bedient, zum Beispiel der Synekdoche oder gar des Enigmas, wird eher nur das Roß genannt, wenn man in Wirklichkeit den Reiter meint."
Es sind dafür andere Termini geprägt worden: „oblique communication", „entbergendes Verbergen", usw. Diese Taktiken sind in der Literatur der Zeit bestens nachweisbar. Ein einziges Beispiel sei hier genannt, aus Gabriels Harveys „Four Letters" (1592). Harvey listet einige Autoren seiner Zeit auf:
„I cordially recommend to the deere Lovers of the Muses: and namely, to the professed [Hervorhebung von mir] Sonnes of the same: Edmond Spencer, Richard Stanihurst, Abraham France, Thomas Watson, Samuel Daniell, Thomas Nash, and the rest, whome I affectionately thancke for their studious ende[a]vours, commendably employed in enriching, & polishing their native tongue, never so furnished, or embellished as of late."
Die "professed sons of the Muses" sind jene „Söhne der Musen", Schriftsteller, die sich zu ihren Werken bekennen und unter ihrem eigenen Namen publizieren. Shakespeare ist nicht dabei. Er hatte ja 1592 auch noch nichts unter diesem Namen veröffentlicht. Doch dann gibt es die anderen, die Harvey lobt:
„For I dare not name [Hervorhebung von mir] the Honorabler Sonnes & Noble Daughters of the sweetest, & divinest Muses, that ever sang in English, or other language: for feare of suspistion of that, which I abhorre [Hervorhebung von mir]: and their owne most delectable, and delicious Exercices (the fine handy-worke of excellent Nature, and excellenter Arte combined) speake incomparably more, then I am able briefly to insinuate." (Gabriel Harvey, The Work of, edited by A.B. Grosart, 1884, Vol. I.218-9)
Das sollte man übersetzen:
"Denn ich wage es nicht, die ehrwürdigeren Söhne und edleren Töchter der verfeinertsten und göttlichsten Musen zu nennen, die je in der englischen oder einer anderen Sprache [womit in erster Linie Latein gemeint sein dürfte] sangen, aus Furcht vor dem, was ich verabscheue: und ihre eigenen höchst ansprechenden und feinsten Übungen (das Handwerk ausgezeichneter Natur und noch ausgezeichneter Kunst in Kombination) sagen unvergleichlich mehr aus, als ich kurz anzudeuten im Stande bin."
Es gibt also die Kinder der Musen, die offen für das von ihnen verfasste Werk eintreten, die „professed" oder die Berufsschriftsteller, und die anderen, die zur Aristokratie gehören und vielleicht auch wünschten, sich als Verfasser ihrer Werke zu bekennen, die das jedoch aufgrund des ständischen Verhaltenskodex nicht dürfen. Hätte der Gemeine, der „Commoner" Gabriel Harvey, sie namentlich als schrifstellerisch tätig genannt, hätte er ein aristokratisches Tabu verletzt - die höfische Gesellschaft war ja eine aristokratische, was zur Kenntnis zu nehmen nicht „snobbery" ist, sondern ein Gebot geschichtswissenschaftlicher Objektivität - so hätte Harvey den Gelobten zwar privat und mündlich einen Gefallen erwiesen, jedoch nicht in jener Öffentlichkeit, die durch ein Druckwerk erzeugt wird.
Nicht von Verschwörung ist die Rede, sondern von Tabu. Das versteht Shapiro überhaupt nicht und versteht deshalb kaum etwas von der Zeit, über die er redet - oder will es nicht verstehen.
Man kann vermuten, dass Harvey Shakespeare zu den ungenannten „ehrwürdigeren Söhnen" zählte. Man kann es vermuten, beweisen kann man es 1592 nicht, aber...
Thomas Lodge gehörte zum Kreis des Euphuismus, einer literarischen Gruppe, der Shakespeare nahe stand. 1596 veröffentlicht Thomas Lodge sein Werk Wit's Misery and the World's Madness: Discovering the Devils Incarnate of this Age. Shakespeares Stücke Titus Andronicus, 2 Henry VI und 3, Henry VI waren bereits erschienen, anonym allerdings. Aber Venus and Adonis und The Rape of Lucrece waren ebenfalls schon seit 3 bzw. 2 Jahren erschienen und hier und da als literarisches Ereignis bejubelt worden. Auf Seite 57 (The Complete Works of Thomas Lodge, Hsgb. Edmund W. Gosse) erwähnt Lodge die seines Erachtens tonangebenden Schriftsteller seiner Zeit. Es sind: John Lyly, Edmund Spenser, Michael Drayton und Thomas Nashe. Shakespeare erwähnt Lodge nicht.
(Thomas Lodge musste doch Shakespeare kennen, wenn er schon den Buchhändlern in St. Paul's Churchyard eine solch vertraute Gestalt war, von wegen seines unablässigen Herumschmökerns in den Büchern dort, nicht wahr, Professor Shapiro?)
Aber Lodge erwähnt ihn nicht! Und er ist doch irgendwie nahe, im vorherigen Absatz, als Hamlet, denn es heißt dort: „he walks for the most part in black under colour of gravity, & looks as the Visard of the ghost which cried so miserably at the Theater like an oister wife, Hamlet revenge."
Hamlet war also ein Thomas Lodge bekanntes Stück, (während Shakespeare blätterte und blätterte und blätterte in St Paul's Churchyard. Und wenn er nicht gestorben ist, immer noch blättert.)
© Robert Detobel 2010