Shapiro-Tagebuch (13) Variationen auf einen jüdischen Witz

Der jüdische Witz, der hier gemeint ist, handelt von einem Schadchen. Ein Schadchen ist ein jüdischer Heiratsvermittler. Ein Schadchen, so informiert uns Wiktionary,

„gebraucht mancherlei Mittel, um ein schwieriges Geschäft zustande zu bringen oder ein bedrohtes zu retten"

In dem Witz erteilt ein junger Mann einem Schadchen den Auftrag, für ihn eine möglichst reiche und schöne Braut zu finden. Schon am nächsten Tag ist der Schadchen erfolgreich und nimmt den jungen Mann mit zur Brautschau. Der junge Mann ist nicht nur enttäuscht, er ist ob der Wahl des Schadchens zutiefst empört.

Junger Mann: Diese Frau hat kaum noch Zähne.
Schadchen:   Na ja, dann hat sie keine Zähne.
Junger Mann: Sie hinkt.
Schadchen:   Na ja, dann hinkt sie halt.
Junger Mann: Sie stottert.
Schadchen:   Na ja, dann stottert sie.
Junger Mann: Sie hat nur ein Auge.
Schadchen:   Na ja, dann hat sie eben nur ein Auge.
Junger Mann: Sie hat Haarausfall.
Schadchen:   Nanu, gar keinen Fehler soll sie haben!

Auch Shapiro versucht regelmäßig, mit Phrasen dieser Art sein Geschäft zu retten.

Auf Seite 255 schreibt er:

„wenn man einmal damit anfängt, Shakespeare zurück in seine Zeit und an seinen Ort zu versetzen, erscheint die Idee, dass er sich aktiv verschworen hätte, jeden, der ihn kannte oder ihm begegnete, über die wahre Verfasserschaft der Werke, die seinen Namen trugen, zu täuschen, als schrecklich weit hergeholt."

[„once you begin to put Shakespeare back into his own time and place, the notion that he actively conspired to deceive every one who knew or met him  about the true authorship of the works that bore his name seems awfully far-fetched.]

Der Satz soll abermals den Eindruck erwecken, als wäre Shakespeare in London eine stadtbekannte Person gewesen. Einen Absatz vorher hat Shapiro ihn dann auch an die Hand genommen und im Buchhändlerviertel flanieren geführt, dort an den Bücherbuden in den Büchern nach Stoffen für seine Stücke schmökern und dem Master of the Revels Sir George Buc begegnen lassen. Vielleicht aber trafen sich die beiden am Eingang des Globe oder dem anderen Theater The Curtain, wo das Ensemble The Lord Chamberlain's Men noch bis 1599 spielte, so Shapiro, der in seine bereits in „1599 - A Year in the Life of William Shakespeare" eingeübte Methode zurückfällt, eine Landschaft zu zeichnen und Shakespeare darin herumtollen zu lassen. Irgendeinen anderen Beweis als einen ins Blaue seiner Landschaftspastellzeichnungen hinein spekulierten Shakespeare hat er nicht vorzuweisen.

Doch was soll er auch mit den tatsächlich vorhandenen Dokumenten für seinen „stadtbekannten" Shakespeare anfangen? Im Herbst 1597, 1598 und 1599 konnten die Steuereintreiber ihn, den „stadtbekannten" Mann nicht finden. 1612 war Shakespeare als Zeuge geladen in einem Prozess über die Höhe einer Mitgift, für die er 1604 im Haus eines Perückemachers den Makler gespielt hatte. Eine Zeugin erinnert sich an einen „gewissen Shakespeare, der dort einquartiert war" [„one Mr Shakespeare that laye in the house"]. 1610 nannte ihn der Theatermanager Robert Keysar nicht einmal in seiner Klageschrift gegen Shakespeares Ensemble. Er scheint für Keysar genauso unbedeutend gewesen zu sein als der einzige andere ebenfalls unter „and others", unter „weiter liefen", eingereihten Teilhaber, der notorisch unbekannte Thomas Evans, vermutlich ein Strohmann oder Treuhänder für den in gerichtliche Schwierigkeiten geratenen Theatermanager Henry Evans.

Auf Seite 256 die nächste Phrase. Shakespeare hätte kein großes Interesse am Druck seiner Werke gezeigt. „Wenn er sich etwas mehr darum gekümmert oder dabei etwas mehr zu sagen gehabt hätte, würden wir jetzt Plätze reservieren für die Aufführung solcher verlorener Shakespeare-Stücke wie Cardenio und Love's Labour's Won. [If he had cared a bit more, or had more say in the matter, we'd be booking seats for performances of such lost Shakespeare plays as Cardenio and Love's Labour's Won.]

Was Shapiro hier treibt, ist reines Obst- und -Gemüse-Straßenhändlermarketing:

"Hier, meine Damen und Herren, haben Sie die besten Bananen der Welt, um die sich die klügsten Affen der Welt reißen und für die sie bereit wären, 100 Dollar zu bezahlen. Sie kriegen sie für einen Dollar!"

Cardenio wurde 1613 von den King's Men, Shakespeares Ensemble, bei Hofe und noch einmal vor dem Botschafter des Herzogs von Savoye aufgeführt. Das Stück ist verloren und existiert nur in einer 1727 vom Shakespeare-Forscher Lewis Theobald rekonstruierten Fassung. Das Stück ist derart schlecht, dass bis vor kurzem niemand daran gedacht hat, es Shakespeare zuzuschreiben. Brian Vickers findet die Zuschreibung an Shakespeare nicht überzeugend (Shakespeare, Co-Author, Oxford, 2002, S. 9-10). Chambers befand es als zu schlecht, um für ein Stück Shakespeares gelten zu können. Doch nun scheint es auf einmal eine wichtige Funktion erfüllen zu können. Welche Funktion das ist, wird in Beitrag 14 behandelt.

Love's Labour's Won ist der Titel einer der sechs Shakespeare-Komödien, die Francis Meres in seinem „Comparative Discourse" aufführt. Ob es sich dabei um ein verlorenes Stück handelt, ist sehr fragwürdig. Francis Meres strukturierte seinen „Comparative Discourse" ganz nach euphuistischer Art um Antithesen und rein arithmetischer Symmetrie. In seinem Absatz über die Tragödie etwa erwähnt er je einen Professor aus Cambridge und Oxford, in dieser Reihenfolge; im nächsten über die Komödie erwähnt er je einen Professor in umgekehter Reihenfolge. So dass es durchaus möglich ist, dass Meres einer Shakespeare-Komödie diesen Titel als Antithese zu Love's Labour's Lost wählte (siehe Brief Cronicles)

Diese Möglichkeit zieht Shapiro nicht in Erwägung. Angesichts dessen, was er auf Seiten 267-8 über Meres zu berichten hat, nimmt es nicht wunder. Genau angeschaut hat er sich Meres' Palladis Tamia und den darin enthaltenen „Comparative Discourse" aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Die seichte Betrachtung kompensiert Professor Seichtbold durch Phrasen - was Gegenstand von Beitrag 15 sein wird.

© Robert Detobel 2010