Shapiro-Tagebuch (32) Shapiro, Green und Greenwood

Was ist ein Held? In Zeiten der Fußballweltmeisterschaft ist die Antwort einfach: Ein Held ist ein Torwart, der hält. Der Torwart der englischen Nationalmannschaft Robert Green - denn von ihm und vom zweiten elisabethanischen Zeitalter, nicht vom Schriftsteller Robert Greene im ersten elisabethanischen Zeitalter ist hier die Rede - ist kein Held. Einen flach und schwach geschossenen Ball ließ er durch die Hände rutschen. Er wurde dafür von der englischen Presse gnadenlos in die Mangel genommen. Wer solch einen Torschuss durch die Beine trudeln lässt, leistet seiner Mannschaft einen untreuen, keinesfalls einen treuen Dienst, keinen „yeoman's service". Zu Recht fiel die englische Sport- und Spottpresse über ihn her.

Auch Shapiro ist als Held angetreten. Als ein Held, der den Drachen der Dissidenz ein für allemal besiegen und, wie es einer der Rezensenten seines Buches ausdrückte, der der Orthodoxie einen „yeoman's service" leisten würde. Gewissermaßen als Torwart, der die Schüsse der Zweifler zu entschärfen versuchte, das orthodoxe Tor sauber zu halten also. Man weiß, wie er das angestellt hat: indem er die Schüsse einfach ignorierte und statt des Balles den Mann spielte. Im wahren Fußball hätte diese Spielweise eine rote Karte, einen Feldverweis zur Folge gehabt. Dort aber, wo er den Ball spielt, d. h. positiv den Mann aus Straford als Verfasser in Szene zu setzen versucht, dort ist der Vergleich mit Torhüter Green angebracht, denn auch Shapiro rutschen einige einfach zu haltende Bälle durch Hände und Beine: Er sieht einen Bindestrich, wo keiner ist, einen Tragödiendichter, der keiner ist, und wertet eine Aussage, die der Verfasser des ersten Teils von Return from Parnassus dem maßlosen Aufschneider Gullio in den Mund legt, um die schiere Unvorstellbarkeit dessen Tölpelhaftigkeit zu unterstreichen, als Kronzeugnis für Shakespeare aus Stratford. Doch da hört der Vergleich mit Green auf: anstatt wie dieser von der englischen Presse verhöhnt zu werden, wird Shapiro über den grünen Klee gelobt.

Es liegt darin vielleicht eine gewisse Logik, dass Gullio ernst genommen wird. Der Gullianismus ist die philosophische Strömung, in der die Shakespeare-Orthodoxie mit ständig sich steigernder Konsequenz treibt. So war es letztendlich wohl ebenso unvermeidlich, Gullio entschlossen nicht zu meiden als Greenwood, einen scharfrichterlichen Kritiker der Orthodoxie, angstfällig zu meiden.

Zwischen 1908 und 1923 schrieb Sir George Greenwood drei Bücher zur Verfasserschaftsfrage:

The Shakespeare Problem Restated,
Is There a Shakespeare Problem? (1916) und
Shakespeare, Lee and a Tertium Quid.

Das früheste Werk beeindruckte Mark Twain so sehr, dass er in dem Abschnitt „Is Shakespeare dead?" innerhalb My autobiography ein ganzes Kapitel übernahm. In diesem Zusammenhang, und nur in diesem Zusammenhang wird Greenwood von Shapiro erwähnt, sicher nicht zuletzt, um Mark Twain den Makel des Plagiators in die Stirn zu brennen. Und beweist doch nur, dass er wahrscheinlich weder den von Shakespeare handelnden Teil in Mark Twains Autobiografie noch irgendeines der Bücher Greenwoods gelesen hat. William Niederkorn hat den Plagiatsvorwurf berichtigt. Mark Twain nennt zwar den Namen des Autors nicht, gibt aber an: „Chapter XIII from The Shakespeare Problem Restated".

Wagen wir die sehr zweifelhafte Annahme, dass Shapiro Greenwoods The Shakespeare Problem Restated gelesen hat. Es fragt sich dann zwangsläufig, was er auf den Seiten 326 und 327 wohl empfunden haben mag. Auf diesen beiden Seiten im Kapitel „Shakespeare Allusions and Illusions" befasst sich Greenwood mit Gullios Lobeshymnen auf Shakespeare und zitiert W. D. Macray, einen Herausgeber der drei Parnassusstücke, der Gullio charakterisiert als „einen totalen Aufschneider, einen sich als Wissender gerierenden Hohlkopf und einen bekennenden Libertin".

„Von einem solchen Tölpel gelobt zu werden", schließt Greenwood, „ist selbstverständlich das Gegenteil einer Empfehlung."

Nicht für Shapiro.

© Robert Detobel 2010