Shapiro-Tagebuch (33) Shapiro und Fleay

Frederick Gard Fleay (1831-1909) war ein äußerst produktiver Forscher, dem die Shakespeare-Forschung und allgemein die Literaturforschung manches verdankt. Heute wird er kaum noch zitiert. Selber ist er nicht unschuldig daran. Seine Assoziationen waren oft spekulativ und richtig, nicht selten aber auch spekulativ und falsch, bisweilen waren sie dreist. Allerdings holte ihn Brian Vickers in seinem Buch Shakespeare, Co-Author (2002) aus der Vergessenheit zurück. Denn vieles, was Stilometriker erst Ende des 20. Jahrhunderts erkannten, hatte Fleay bereits vorweggenommen. Fleay war ohne Zweifel ein aufmerksamer Leser.

Clemens Mansfield Ingleby (1823-1886) war ebenfalls ein bekannter Shakespeareforscher und mit Fleay gehörte er 1873 zu den Gründern der New Shakspere Society, der Nachfolgeorganisation der Shakespeare Society, deren Vorsitzender der Fälscher John Payne Collier gewesen war. Es war vielleicht in Abgrenzung von Collier, dass die neue Gesellschaft es vorzog, den Namen als „Shakspere" zu schreiben. Als Inglebys Shakespeare's Century of Praise und sein Shakespeare-Allusion Books 1874 erschienen, äußerte sich Fleay, der die Verfasserschaft Shakespeares aus Stratford nie in Zweifel gezogen hat, jedoch sehr zurückhaltend.

„Sie [die Allusionen, d. h. Anspielungen] bestehen nahezu vollständig aus flüchtigen Referenzen zu seinen veröffentlichten Werken und besitzen kein nennenswertes Gewicht für seine Laufbahn. Auch fehlt es an irgendwelchen ausführlichen Materialien, die uns bei Untersuchungen dieser Art, von Nutzen sein können; eine Informationsquelle, die für die meisten seiner Zeitgenossen reichlich sprudelt, fehlt in seinem Fall gänzlich. Lobverse, sei es für ihn von anderen, sei es für andere von ihm, die zu seinen Werken von anderen oder von ihm zu den Werken anderer zu Lebzeiten verfasst wurden, existieren nicht, - eine bemerkenswerte Tatsache, wie immer sie erklärt werden möge [meine Hervorhebung]. Auch ist für ihn kein persönlicher Kontakt über einen sehr begrenzten Kreis hinaus nachweisbar, wenngleich die fantasievollen Es-könnte-so-gewesen-Seins [meine Hervorhebung], in denen sich seine Biografen so ergiebig ergehen, uns auf den ersten Blick zum entgegengesetzten Schluss verleiten könnten!"

„They consist almost entirely of slight references to his published works, and have no bearing of importance on his career. Nor, indeed, have we any extended material of any kind, to aid us in this investigation; one source of information, which is abundant for most contemporaries, being in his case entirely absent. Neither as addressed to him by others, nor by him to others, do any commendatory verses exist in connection with any of his or other mens' works published in his lifetime, - a notable fact, in whatever way it may be explained [meine Hervorhebung]. Nor can he be traced in any personal contact beyond a very limited circle, although the fanciful might-have-beens [meine Hervorhebung] so largely indulged in by his biographers might at first lead us to an opposite conclusion!" (zitiert nach Greenwood, The Shakepeare Problem Restated, S. 331)

In seinem vorigen Buch 1599: A Year in the Life of William Shakespeare war Shapiro dieses Problem nicht entgangen. Wie er versuchte, das Problem am Beispiel von Shakespeares Abwesenheit bei Edmund Spensers Beerdigung zu „eliminieren", ist auf dieser Webseite analysiert worden
(Siehe: „Shapiros Verdrehungen" ; vergl auch "Shapiro's writhing way of writing")

durch eine Story. Shapiro fordert zwar immer „history" ein, hat jedoch selbst nur „story" anzubieten! Indem er eine grundlose, auf keinem einzigen Faktum aufgebauten Story um das Es-könnte-gewesen-Sein ersinnen muss, gibt er dennoch zu, dass da ein Problem ist. Und im Endeffekt bejaht er damit Fleays kritische Bemerkungen zu den Shakespeare-Allusionen und bestätigt Greenwoods Verdikt, dass die Allusionen in Wahrheit zumeist Illusionen sind.

In Contested Will lässt er das Problem wie eine heiße Kartoffel fallen. Aber es ist wahr: Dort hat er ja den Kartoffelsalat Gullio.

© Robert Detobel 2010