Einleitung

Am 1. September 2011 kündigte der „Shakespeare Birthplace Trust" (SBT) in Stratford-upon-Avon eine Kampagne an, „um die Verschwörungstheorien um die Urheberschaft von Shakespeares Werken zu entlarven"; dies im Vorfeld des Kinostarts am 28. Oktober (USA) des Roland-Emmerich-Films Anonymous. Die Kampagne bringt auf einer neuen Audio-Website „60 Minuten mit Shakespeare" mit „60 Schauspielern, Schriftstellern und Experten", die jeweils auf eine der „60 Fragen in 60 Sekunden antworten".

Der Zweck der Internetseite ist es aber nicht zu informieren, sondern es soll der Eindruck erweckt werden, dass es einen breiten Konsens gäbe und man deshalb annehmen dürfe, dass es sich nicht lohnt, selber Zeit darauf zu verwenden, um das Problem zu verstehen. Wenn der SBT wirklich informieren wollte, könnte er den gesamten Text auf seiner Website veröffentlichen. Tatsächlich werden die meisten den Text wahrscheinlich zum ersten Mal auf unseren Webseiten mit unseren Erwiderungen lesen.

Obwohl der Eindruck einer Vielfalt entsteht, ist die Gruppe in Wirklichkeit in vielerlei Hinsicht sehr homogen. Fünfundzwanzig (42%) haben akademische Positionen in der Anglistik (englische Literatur) oder in Instituten für Shakespeare-Studien. Zwanzig (33%) sind Vorstandsmitglieder oder Mitarbeiter der SBT oder am Shakespeare-Institut. Interessanterweise werden mindestens vier Mitglieder des SBT-Kuratoriums (trustees) nicht als solche in ihren Kurzbiographien von „60 Minutes" ausgewiesen. Weitere zehn sind Schauspieler und /oder Theaterprofis. Es ist kein Historiker dabei, außer Michael Wood, SBT- Kuratoriumsmitglied auf Lebenszeit, keine Sozialwissenschaftler oder Verhaltensforscher, keine Experten für Kreativitäts- oder/und Genie-Forschung. Ach ja, und ein Filmregisseur ist dabei: Roland Emmerich, der einen Film über all das gedreht hat. Trotz solch isolierter Ausnahme ist es ganz klar, dass man eine einzige Branche vertritt.

Dr. Paul Edmondson, Leiter der Abteilung für Bildung und Forschung am SBT, sagte, dass die neue Website die Ansichten von 60 verschiedenen Stimmen biete, darunter auch die von Roland Emmerich, „so dass die Interessierten zuhören und sich ihre eigene Meinung bilden können". Es ist merkwürdig, dass Rev. Edmondson offenbar meint, Emmerichs einsame Stimme unter sechzig sei völlig ausreichend dafür, dass man „hören und sich dann eine eigene Meinung bilden" könne.

Die „Shakespeare Authorship Coalition" (SAC) begann recht schnell in einer breiten Zusammenarbeit eine eindeutige Widerlegung der "60 Minutes" zu schreiben. Der Zweck dieses Berichts mit dem Titel "Exposing an Industry in Denial" ist, die 60 Erwiderungen als Ergebnis der Zusammenarbeit zu veröffentlichen.

Die Coalition und elf verwandte Organisationen, die auf der Titelseite dieses Berichts genannt werden, begrüßen die Gelegenheit, um auf die „60 Minuten" zu reagieren. Es kommt nicht oft vor, dass wir eine solche Gelegenheit haben, da die meisten orthodoxen Shakespeare-Forscher die Autorfrage nicht ernst nehmen. In der Tat wird das Problem häufig als Tabuthema in der Wissenschaft behandelt, obwohl die moderne Kontroverse seit mehr als 150 Jahren besteht und unter den Zweiflern sehr glaubwürdige Persönlichkeiten waren und sind.

Wer sind die Skeptiker? Wer sind die Stratfordianer?

Zweifler" an Shakespeares Urheberschaft sind jene Leute, die annehmen, dass es "begründete Zweifel" gibt, ob die traditionelle Zuschreibung der Werke an den Mann aus Stratford richtig ist. „Stratfordianer" sind diejenigen, die die traditionellen Zuschreibung für richtig halten oder sie zumindest favorisieren. Ansonsten gibt es wenig Unterschiede zwischen den beiden Gruppen in Bezug auf die Wertschätzung des Autors und seiner Werke. Alle von uns haben die größte Hochachtung vor dem Autor, wir unterscheiden uns aber in den Vorstellungen davon, wer er war.

Auf den folgenden Seiten bieten wir unsere Erwiderungen zu den im SBT-Projekt gegebenen 60 Antworten. Die SBT-Antworten stammen von Personen, die vermutlich sorgfältig ausgewählt wurden, um mit dem Projekt den gewünschten Zweck zu erreichen. Angesichts der Breite und Vielfalt unserer Koalition, darunter alle wichtigen Organisationen zur Autorfrage und Wissenschaftler mit unterschiedlichen Ansichten vertreten, haben wir ein bemerkenswertes Maß an Einigkeit in unserer Reaktion erreicht. Nicht jede Organisation und nicht jeder Beteiligte stimmt jeder unserer 60 Erwiderungen zu, aber das war zu erwarten. Orthodoxe Gelehrte, alle darin einig, dass Shakspere der Autor war, haben aber sehr unterschiedliche Ansichten zu speziellen Themen, was sich in ihren diversen Foren zeigt. Das gehört zur Wissenschaft.

Einige der Fragen in „60 Minuten" des SBT beziehen sich auf einen bestimmten Kandidaten - Sir Francis Bacon, Christopher Marlowe und Edward de Vere, den 17.Grafen von Oxford.

Die entsprechenden Erwiderungen sind von Anhängern geschrieben und geben jeweils nur deren Ansicht wieder.

SBT-Fragen und Antworten

Die SBT-Antworten auf die eigenen Fragen beeindrucken uns nicht. Wenn die Absicht war, unwiderlegbare Beweise dafür zu liefern, dass Mr. Shakspere der Dichter „Shakespeare" war, haben sie ihr Ziel nicht erreicht. Für jeden, der etwas mit der Sache vertraut ist, offenbaren die Antworten eine Unkenntnis der grundlegenden Fakten. Vermutlich ist das die Folge der Unterdrückung jeden Widerspruchs, was immer in die Selbstisolation führt. Wir können das hier nur vermuten, aber das Problem ist vorhanden und wird durch unsere Widerlegungen offensichtlich.

Aber Unkenntnis der relevanten historischen Fakten ist nicht das einzige Problem. Es gibt auch Beispiele, bei denen Einzelbeobachtungen einfach verallgemeinert werden. Wie viele Menschen würden heute eine Untersuchung ernst nehmen, die auf einer Stichprobe mit einem einzigen Element beruht? Der SBT bietet ausgewählte Einzelbeobachtungen an, als ob sie für alles sprechen könnten. Sie richten oft die Aufmerksamkeit auf einzelne Beispiele und unterstellen, dass sie repräsentativ für alle Zweifler wären.

Anstatt sich auf Beweise zu konzentrieren, macht der SBT häufig von ad-hominem Angriffen Gebrauch. Dies sollte ein Warnsignal sein. - Wenn die Nachweise genauso aussagkräftig wären wie die Behauptungen, bestünde keine Notwendigkeit, den Charakter, die Vernunft, oder gar die geistige Gesundheit des Gegners in Frage zu stellen. Aber das tut der SBT. Jeder Leser kann für sich entscheiden, ob wir wichtige Argumente in unserer Erwiderungen auf die SBT-Antworten vorbringen.

In Ergänzung zu unseren 60 Erwiderungen stellen und beantworten wir im Anhang A
Fünf Schlüsselfragen, die der SBT nicht stellt und nicht beantworten kann".

Im Anhang B behandeln wir
Sechs Mythenbildungen über die Werke, die Skeptiker und Will Shakspere"

Die 60 Fragen des SBT verfolgen seine eigenen Ziele, nicht unsere. Wir halten es nur für fair, dass wir die Gelegenheit bekommen, auch einige unserer Themen anzusprechen.

"Shakespeare" kontra  S h a k s p e r e

Beachten Sie, dass alle Autoren, die auf die SBT-Fragen antworten, immer "Shakespeare" sagen, sowohl wenn sie sich auf den Autor beziehen - wer immer er war - als auch, wenn der Mann aus Stratford gemeint ist, als ob es keinen Zweifel gäbe, dass es ein und dieselbe Person sei. Sie gehen einfach von dem aus, was sie versuchen zu beweisen, als ob es diese Professoren nicht besser wüssten. Sie geben vor, dass es keinen Unterschied zwischen dem Namen des Autors und Will "S h a k s p e r e" gäbe.
Während des 19. Jahrhunderts war es üblich, dass orthodoxe Gelehrte den Namen des Mannes aus Stratford so schrieben, wie er auf dem Dokument von seiner Taufe, auf seinem Denkmal und auf den drei Seiten seines Testaments steht. Nun wird diese Tatsache als ein zu suggestiver Hinweis auf zwei verschiedene Personen von den Orthodoxen verheimlicht.

Unabhängig davon, ob es einen wirklichen Unterschied zwischen dem Namen des Autors und dem des Mannes aus Stratford gab, ist eine Verabredung erforderlich, um sie unterscheiden zu können. In diesem Bericht halten wir uns konsequent an die Regel, dass "Shakespeare" sich immer auf den Autor der Werke bezieht, unabhängig davon, wer er wirklich war. „S h a k s p e r e" oder auch oft "Mr. S h a k s p e r e" hingegen bezieht sich immer auf den Mann aus Stratford-upon-Avon. Ob der Autor und der Mann aus Stratford ein und dieselbe Person sind, ist der Kern der Debatte.

Aber es empfiehlt sich, sehr aufmerksam bei der Lektüre der SBT-Antworten zu sein, wo dieser Unterschied nicht gemacht wird.

Liste der Fragen