Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord Chamberlains

V. Kontinuität („Continuance")

Auf einen letzten Punkt bleibt noch hinzuweisen, bevor wir uns den Interventionen der Lord Chamberlains zuwenden.

 „Continuance" war ein wichtiger Begriff des altenglischen Rechts. Mit dieser Forderung wurde ausgedruckt, dass ein unerfüllter gesetzlicher Anspruch in regelmäßigen Abständen wiederholt werden musste, damit er aufrecht erhalten bleibe.

In einem Brief vom 7. Mai 1603 schreibt der Earl of Oxford an Robert Cecil zu seinem Anspruch auf die Aufseherschaft über den Wald von Waltham:

„Bis zum zwölften Jahr der Regierung Heinrichs VIII. hatten meine Vorfahren die Aufseherschaft über den Wald von Waltham und den Park von Havering inne, und zwar fast seit den Zeiten Wilhelms des Eroberers... Aber von Zeit zu Zeit haben sowohl mein Vater als ich selbst diesen Anspruch erneuert." Edward de Vere beruft sich auf einen erblichen Anspruch, der seinem Haus zwar durch Heinrich VIII. verwehrt worden ist, der aber weiterhin gilt, da durch seine und seines Vaters angemeldeten Anspruch kein Diskontinuität entstanden ist, durch die diesen Anspruch verwirkt wäre.

Wie nun, könnte man fragen, sollte zum Beispiel ein Abt oder ein Bischof seinen Anspruch nicht für ihn selbst, sondern für seine Abtei oder Bischofstum einen ähnlichen nicht erfüllten Anspruch bekräftigen. Er könnte sich natürlich nicht auf Erbfolge („inheritance), sondern auf Nachfolge („succession") berufen. Darauf beruht John Selden zufolge auch das Recht eines Geistlichen, im Parlament Sitz zu haben.

„ Bishops have the same right to sit in Parlament as the best of Earls and Barons; if you ask one of them (Arundel, Oxford, Northumberland) why they sit in the House, they can only say that their father sat there before him and  their grandfather before him. And so says the bishop, he that was a bishop of this place before me sat in this House, and he that was a bishop before him, etc." (John Selden Table Talk, S. 15).

Doch die gleiche Überlegung kann für jedes Amt angestellt worden. Sir Edward Coke, der gemeinsam mit Francis Bacon wohl einflußreichste Jurist der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, hat das mit dem Konstrukt  der „corporation sole", der „Ein-Mann-Körperschaft", auch versucht Er hat damit in „Fulwood's Case" einen ausschließlich für den König geschaffenen Begriff (die „corporation sole" entspricht im Grunde dem unsterblichen Körper des Königs, dem „body politic") auf ein anderes Amt, das des Chamberlain (Kämmerers) der Stadt London zu übertragen versucht. Bei diesem einen Versuch ist es geblieben. Frederick W. Maitland „Corporation Sole" in Law Quarterly Review, LXIV, October 1900, S. 335) verwirft deshalb Cokes Versuch, fügt jedoch uner Verweis auf Frederick Pollock darauf hin, dass das römische Recht den Amtsinhaber, solange er im Amt war, als eine moralische Person ähnlich einer Körperschaft auffasste und diese Sicht auch in moderne Rechtssysteme eingegangen ist.

Wenn also ein Amtsinhaber einen nicht erfüllten Anspruch für sein Amt aufrecht erhalten will, so musste er auch das Kontinuitätsprinzip beachten und, damit kein Bruch entsteht, mindestens einmal in seiner Amtszeit den Anspruch in irgendeiner Form vorbringen.

Das könnte uns eine Antwort auf die Frage geben, warum jeder der aufeinanderfolgenden Lord Chamberlains nur ein einziges Mal ein Schreiben and die Druckergilde (Stationers' Company) richtet, in dem er fordert, die, sieht man vom bloßen Eigentum an dem Manuskript selbst ab, die Eigentumsrechte der Schauspieler zu schützen erklärt.

Doch erst ist nach alternativen Antworten zu suchen.

Wir können uns einen Augenblick vorstellen, was wir hätten tun müssen, wenn wir auf eine auf den ersten Blick absurde Angelegenheit wie „common recovery" oder eine haarsträubende Geschichte wie den Clayton-Prozess gestoßen wären, ohne auf die Hilfe des Rechtshistorikers zurückgreifen zu können. Wir hätten entweder die Finger davon lassen oder versuchen müssen, uns durch den widersprüchlichen Gegenstand durchzufragen.

Im Falle der Lord Chamberlains kommt uns kein Rechtshistoriker zur Hilfe und, das dürfte klar geworden sein, auf Literaturhistoriker ist für sowas kein Verlass.

Wir werden also versuchen müssen, uns durchzufragen.

© 2010 R. Detobel


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