Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord Chamberlains

VIII. Der Brief vom 3. Mai 1619 des 3. Earl of Pembroke  -Teil 2 -

Hypothese II - Die Pavier-Quartos

Nach einer anderen Hypothese würde sich Pembrokes Brief nicht auf zeitnahe Erstdrucke beziehen, sondern auf die Neuauflage von 10 Stücken (9, wenn man wie der Verleger Pavier den zweiten und dritten Teil von Henry VI (unter dem alten Titel The Whole Contention...) zu einem Stück zusammenfasst. Die Hypothese gilt auch dem Shakespeare-Handbuch als konsensfähig. "Der Verleger Thomas PAVIER hatte bei ihm [William Jaggard] eine Serie von Dramen in Quarto drucken lassen, die alle vorgaben, von Shakespeare zu sein. Teils drucken sie tatsächlich gute Quartos nach, teils schließt die Sammlung aber auch »bad quartos« und sogar pseudo-Shakespearesche Dramen ein. Zehn dieser »Pavier quartos« sind erschienen, drei davon sind durchgehend signiert, was auf die Planung eines Sammelbandes hindeutet, und fünf sind korrekt mit dem Erscheinungsjahr 1619 datiert; die übrigen aber geben sich den Anschein von Einzeldrucken und sind fälschlich mit dem Erscheinungsdatum ihrer jeweiligen Vorlage versehen. PAVIERs Unternehmen dürfte auf den sehr energischen, mittels eines Briefes des Lord Chamberlain an die Vorsteher der Zunft der »stationers« vorgebrachten Einspruch hin gebremst worden sein." [Handbuch 1972 S. 223 / S 211 Ausgabe 2009]. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einigen kritischen Anmerkungen zur Sammelbandhypothese und zum Schlusssatz.

Nachstehend eine tabellarische Übersicht:

Es handelt sich um die in einem Quarto vereinten  Teile I und II der „Contention": The First part of the Contention betwixt the two famous Houses of York and Lancaster...(1594) und The true Tragedie of Richard Duke of Yorke and the death of good King Henrie the Sixt, with the whole contention betweene the two Houses Lancaster and York (1595).

Zunächst setzt sich die Sammelbandhypothese etwas zu unbekümmert über die Tatsache hinweg, dass in dem, was von Pembrokes Brief bekannt ist (das Zitat aus einem gleichartigen Schreiben seines Bruders und Nachfolgers) von einem Sammelband nicht die geringste Rede ist, sondern nur davon, dass dem Schaupielerensemble ein materieller und dem Verfasser ein intellektueller Schaden zugefügt würde. Welcher Schaden könnte dem Schauspielerensemble durch die Wiederauflage von Bühnenstücken entstehen, die schon seit zehn bis zwanzig Jahren oder länger in Umlauf waren? Den „intellektuellen Schaden" erlitt der Verfasser von Henry V (Erstdruck 1602), Merry Wives of Windsor (ED 1602) und King Lear (ED 1608) dann doch schon seit 9-17 Jahren. Und was für einen Unterschied würde es ausmachen, ob diese Stücke als Einzelausgabe neu aufgelegt würden, wie es tatsächlich geschah, oder als Sammelband? Außerdem hatte Pembroke kein gesetzlich begründbares Einspruchsrecht. Er konnte wie am 3. März 1623 den Brief als Vehikel für eine Anmeldung von Ansprüchen auf Einflussnahme benutzen, verhindern konnte er die Veröffentlichung weder als Einzelausgabe noch als eventuellen Sammelband. Ein Sammelband alter Stücke hätte den Schauspielern ebensowenig geschadet wie deren Einzelausgabe. Hinzu kommt, dass es für die Stationers' Company nicht möglich gewesen wäre, Pembrokes Anforderung zu erfüllen, ohne ihre eigene Verfassung außer Kraft zu setzen.

Wir haben gesehen, dass Francis Bacon in seiner Eigenschaft als Lordkanzler die Stationers' Company ermahnte, sich an ihr eigenes Regelwerk zu halten. Wir haben auch gesehen, dass John King, Bischof von London, sie dazu ermahnte. William Herbert, 3. Earl of Pembroke Lord Chamberlain, sollte sich seine Forderung wirklich auf die geplante Neuauflage der 9 Stücke beziehen, ob als Einzelausgabe oder Sammelband, würde nichts Geringeres von der Stationers' Company fordern, als gegen eben dieses Regelwerk zu verstoßen. Denn all die Verlagsrechte an den Stücken waren ordnungsgemäß gewährt worden. Mit dieser Befugnis, exklusive Verlagsrechte zu gewähren, stand oder fiel eine der raisons d'être der Stationers' Company: den Buchhandel aus dem Chaos der ersten Zeit des Buchdruckes, in der jeder Verleger die Publikationen des Erstverlegers nachdrucken konnte, in geordnete Verhältnisse überzuführen.

Weiter kommt hinzu, dass die Sammelbandhypothese alles andere als sicher ist. Sie beruht auf einigen Erkenntnissen:

Erstens, die Existenz einiger Sammelbände, welche die neun Stücke enthalten. Aber keine dieser Bände konnte auf 1619 datiert werden. Einige wurden erst sehr viel später eingebunden. Zudem ist die Reihenfolge jeweils eine andere. In der nachfolgenden Tabelle sind die Namen der Besitzer und die Reihenfolgen aufgeführt. Der älteste Band gehörte zu dem Buchsammler Edward Gwynn. Aus dem Band, der Thomas Percy, Bischof von Dromore (1729-1811) gehörte, wurden 2 der Stücke entfernt; weiter gibt es die Bände, die in den Besitz gelangten von Alfred W. Pollard (im 18. Jahrhundert eingebunden), von Edward Capell, Shakespeare-Forscher des 18. Jahrhunderts (hier handelt es sich allerdings um zwei Quartoausgaben) und einem verlorengegangenen Band, der einmal im Besitz der Bibliothek der University of Virginia war (das Datum der Einbindung, 1853, konnte jedoch ermittelt werden). 

Quarto 11 enthält A Yorkshire Tragedy, Merry Wives of Windsor, A Midsummer-Night's Dream, King Lear, and The Merchant of Venice; Quarto 12 enthält die vier übrigen Stücke. (Quelle: Ronald B. Lewis, The Shakespeare Documents, Vol. I, Stanford :Stanford University Press, 1940-1941,  S. 536)

Dieses Argument muss gestrichen werden.

Zweitens, die durchlaufenden Signaturen für The Whole Contention und Pericles. Doch auch das Gewicht dieses Arguments wird, wie Ronald Lewis (S. 536) bemerkt, dadurch geschmälert, dass jedes der drei Stücke, Whole contention, Teil 1 und 2, und Pericles mit einer eigenen Signatur beginnt : A1 für Titelseite, A[2]-H[4]v für Teil 1, I1 -Q4v für Teil 2, R[1]-Bb[1] für Pericles (Titelseite ist nicht signiert).

Drittens, die Kürze der Angaben auf den Titelseiten. Das Argument wird von E. K. Chambers (Shakespeare, Band I, S. 135) hervorgehoben: "Die Knappheit der Impressen legen die Vermutung nahe, dass die Titelseiten ursprünglich für Halbtitel in einem umfassenden Band gedacht waren, der selbstverständlich mit einer allgemeinen und ausführlicheren Titelseite anfangen würde." Im Anhang werden die Impressen der Erstausgabe mit denen der Quartos von 1619 verglichen. Die Impressen in den Quartos von 1619 sind gar nicht so viel kürzer als die in den Erstausgaben. Änderungen und Weglassungen lassen sich fast alle durch die Notwendigkeit der Anpassung an die seit der Erstausgabe veränderten Verhältnisse erklären.

Ronald B. Lewis stellt dann auch fest, dass die Evidenz für einen geplanten Sammelband alles in allem eher dürftig sei (S. 536). Auch Chambers hält fest: "Die Argumente in Bezug auf die Datierung scheinen überzeugend. Die übrigen Aspekte der Transaktion lassen mehr Raum für Spekulationen." (S. 135).

Die Datierung aller Stücke auf 1619 geht auf eine Prüfung der Wasserzeichen durch Walter W. Greg zurück. Da die Herstellungsfristen für Papier kurz waren, ist es schier ausgeschlossen, dass Papier 1600 das gleiche Wasserzeichen wie Papier im Jahr 1619 aufwies. Sie wird weiter durch eine Untersuchung William Neidigs erhärtet. Neidig maß, zunächst für The Merchant of Venice (von Jaggard angegebenes Jahr: 1600) und Pericles (von Jaggard angegebenes Jahr: 1619) die Abstände zwischen den einzelnen Angaben auf der Titelseite und zwischen den Lettern. Die Abstände waren gleich. Da die gleichen Abstände mit einem neuen Satz unmöglich einzuhalten sind, schließt Neidig, dass die Titelseiten, vor allem das wiederkehrende „Written by W. Shakespeare", von ein und demselben Satz im Jahr 1619 gesetzt sein müssen. (William Neidig. "The Shakespeare Quartos of 1619" in Modern Philology, Vol. VIII, October 1910, S. 145-163).

Das überzeugendste Argument, die bibiographische Identifikation des Druckjahres, ist aber zugleich das mit der geringsten Beweiskraft für die Sammelbandthese; die Argumente, die im Prinzip die größte Beweiskraft für die Sammelbandthese hätten, entpuppen sich als die schwächsten. 

Dass die Jahreszahl der Erstausgabe auf der Titelseite einer später gedruckten Neuauflage beibehalten wurde, ist so selten nicht (siehe William A. Jackson. "Counterfeit Printing in Jacobean Times" in The Library, 4th series, Vol. XV, 1934, S. 364-376). Die Gründe für diese Täuschung können vielfältig sein. Im Falle des nicht-Shakespeareschen Stückes 1, Sir John Oldcastle, mögen wirklich Restbestände der Erstausgabe einbezogen worden sein (die Titelseiten sind in diesem Fall völlig identisch). Im Falle von The Merchant of Venice und Midsummer-Night's Dream könnte die Beibehaltung der Jahreszahl 1600 darauf zurückzuführen sein, dass Jaggard einfach nicht mehr wusste, welchem Verleger das Copyright gehörte, weshalb er nur den Drucker James Roberts erwähnt, dessen Geschäft er 1608 übernommen hatte. Der Name Thomas Fisher, Verleger von Midsummer-Night's Dream, verschwindet nach 1603 aus dem Register; wahrscheinlich starb Fisher während der verheerenden Pestepidemie 1603-4. Ebenso Thomas Hayes, der Verleger von The Merchant of Venice; doch in diesem Fall war das Copyright auf seinen Sohn William übergegangen, der ebenfalls ein Stationer war und der dann auch erfolgreich Widerspruch gegen Jaggards Aneignung einlegte. Eine Betrugsabsicht braucht ihm nicht unbedingt unterstellt zu werden.

Aber warum wiederholt Philip Herbert, 4. Earl of Pembroke, Lord Chamberlain, die Stelle aus dem Brief seines 1630 verstorbenen Bruders in seinem eigenen Brief vom 10. Juni 1637? Das kann sich ja nicht mehr auf Jaggards angeblich geplanten Sammelband beziehen, geschweige auf die erste Folioausgabe. Die Wiederholung hat wohl als einzige Funktion, darauf hinzuweisen, dass er an den von seinem Vorgänger etablierten Präzedenzfall anknüpft, den von ihm vorgebrachten Anspruch fortschreibt, so dass die Kontinuität dieses Anspruches sichergestellt ist. Damit löste sich diese Wiederholung von jedem konkreten Inhalt und würde zu einer bloßen Modalität zur Wahrung der Kontinuität des Anspruchs, in die Angelegenheiten der Stationers'  Company einzugreifen.

© 2010 R. Detobel

Anhang


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