Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord Chamberlains

IX. Beziehungen zwischen Schauspielern, Master of the Revels und Lord Chamberlain

Wenn es wirklich das genuine Anliegen der Lord Chamberlains war, die Stücke der King's Men zu schützen, muss man sich fragen, weshalb sie den umständlicheren Weg über die Stationers' Company wählten und nicht den direkteren über den Master of the Revels, denn zwischen 1607 und April 1637 gingen all diese Stücke (abgesehen von nur drei Ausnahmen, darunter die 16 im Vorfeld der Veröffentlichung der ersten Folioausgabe registrierten Shakespeare-Stücke) zweimal durch seine Hände: einmal für Genehmigung zur Aufführung, ein weiteres Mal für Genehmigung zum Druck. Zuerst kam immer die Genehmigung zur Aufführung, nicht nur für neue Stücke, sondern auch für Wiederaufführung alter Stücke. So lesen wir in den Aufzeichnungen Sir Henry Herberts, Master of the Revels von 1623 bis 1673 (mit einer Unterbrechung von 1642 bis zur Restauration 1660):

"1623, August 19. "For the king's players. An olde playe called Winter's Tale, formerly allowed of by Sir George Buck, and likewyse by mee on Mr. Hemmings his worde that there was nothing profane added or reformed, thogh the allowed booke was missing..." (The Dramatic Records of Sir Henry Herbert, Master of the Revels, 1623-1673. Edited by Joseph Quincy Adams. New Haven: Yale University Press, 1917, S. 25[i].  Das ursprünglich von Sir George Buc zur Aufführung genehmigte Stück war am 19. August 1623 nicht verfügbar (vermutlich, weil es sich bei William Jaggard in der Drucklegung befand). Henry Herbert vertraute jedoch die Versicherung des John Hemmings von den King's Men,  dass  nichts Unpassendes hinzugefügt oder geändert worden sei.

Ein Eintrag vom 17. Juli 1626 lautet: „[Received] from Mr. Hemmings for a courtesie done him about their Blackfriers hous." (S. 64) Was dieses "courtesie" für das Blackfriars-Theater, dieser Gefallen war, erfahren wir nicht, nur dass John Hemmings dieser Gefallen 3 Pfund wert war. In einem weiteren Eintrag vom 11. April 1627 erweist Herbert den King's Men einen weiteren Gefallen, der diesmal ausdrücklich bezeichnet ist: „[Received] from Mr. Hemming, in their company's name, to forbid the playing of Shakespeare's plays to the Red Bull Company." (S. 64) Dieser Gefallen war 5 Pfund wert. Dem Ensemble des Red Bull Theaters soll vier Jahre nach der ersten Folioausgabe untersagt werden, Stücke Shakespeares zu spielen.

Am 8. Februar 1625: "For the king's company. An olde play called The Honest Man's Fortune, the originall being lost, was re-allowed by mee at Mr. Taylor's intreaty..." (S. 30) Das Original des Stückes war verloren, aber Herbert genehmigte es für Aufführung auf das Gesuch des Schauspielers Joseph Taylor hin.

Außerdem erhielt Henry Herbert von den King's Men fünf Jahre lang Zuwendungen, das erste Mal 1628. Am 25. Mai 1628: „The kinges company with a generall consent and alacritye have given mee the benefitt of too [two] dayes in the yeare, the one in summe th[e]other in winter, to bee taken out of the second daye of a revived playe, att my owne choyse." (S. 43) Die King's Men führten die Einnahmen des zweiten Aufführungstages je einer Reprise (nicht eines neuen Stückes) im Winter und im Sommer an den Master of the Revels ab, der sich das Stück aussuchen konnte. Mindestens in einem Fall, für John Fletchers Custom of the Country, bewies er seine Geschäftstüchtigkeit, denn er nahm einen Nettobetrag von 17 1/2 Pfund ein. Später wurde diese Vereinbarung in eine direkte Beteiligung geändert, nicht nur an den King's Men sondern an vier weiteren Schauspielensembles (S. 45).

Vor allem aber hatten die Schauspieler dem Master of the Revels regelmäßig nicht nur die neuen Stücke, sondern bei Wiederaufführung auch ältere Stücke zu unterbreiten:

„1633, October 18. "... To Mr. Taylor, Mr. Lowins, or any of the King's players at the Blackfryers... The Master ought to have copies of their new playes left with him, that he may be able to shew what he hath allowed or disallowed. All ould plays ought to bee brought to the Master of the Revells, and have his allowance to them, for which he should have his fee, since they may be full of offensive things against church and state; the rather that in former time the poetts tooke greater liberty than is allowed them by mee. The players ought not to study their parts till I have allowed of the booke."

Henry Herbert fordert Kopien der neuen Stücke, damit er zeigen kann, was darin erlaubt oder unerlaubt ist. Außerdem müssen ihm auch die älteren Stücke vorgelegt werden. Begründung: in früheren Zeiten nahmen sich die Autoren größere Freiheiten heraus, als er zu gestatten pflegt. Diese Freiheiten könnten Stoff enthalten, der nicht mit der religiösen und politischen Ordnung vereinbar ist. Außerdem sollen die Schauspieler nicht mit dem Einstudieren der Rollen beginnen, bevor eine Genehmigung erteilt ist.

Zwischen dem Master of the Revels und den Schauspielern, vor allem den King's Men, bestand ein regelmäßiger Kontakt. Gegen Zahlung erwies der Master, wie oben gesehen, den Schauspielern ein „courtesy", einen Gefallen. Nun kamen die neuen Stücke zweimal in die Hände des Master, einmal zwecks Genehmigung der Aufführung, ein weiteres Mal zwecks Genehmigung zum Druck, und zwar bevor ein Stück überhaupt den Wardens der Stationers' Company vorgelegt wurde. Die Schauspieler hätten ihn also bitten können, darauf zu achten, wann ein Verleger ein neues Stück, das sie nicht oder noch nicht im Druck zu erscheinen wünschten, ihm zur Prüfung vorgelegt wurde. Oder der Master hätte von sich aus diese Entscheidung treffen können. Und natürlich hätte auch sein Vorgesetzter, der Lord Chamberlain, ihn dazu anweisen können. Es wäre ein sicherer und effizienterer Weg gewesen, als sich zu diesem Zweck an die Stationers' Company zu wenden.

Muss man daraus schließen, dass der 3. Earl of Pembroke (und die späteren Lord Chamberlains) in schier unvorstellbarer Fahrlässigkeit diese Möglichkeit übersahen? Wohl nicht. Wenn, wie bereits aus dem Brief vom 3. März 1623 deutlich wurde, es den Lord Chamberlains in erster Linie darum ging, ihrem Anspruch auf die Genehmigung von Bühnenstücken auch zum Druck schriftlich Nachdruck zu verleihen, so konnten sie den direkten und effektiveren Weg im Innenverhältnis über den Master of the Revels nicht beschreiten, sondern mussten den Anspruch notwendigerweise im Außenverhältnis zur Stationers' Company behaupten. Dass sie nicht den direkten und weitaus effizienteren Weg gingen zur Sicherstellung, dass keine neuen Stücke der King's Men vorzeitig gedruckt wurden, beweist, dass ihr primäres Anliegen die Abstützung ihres eigenen Anliegens war, während das Interesse der Schauspieler bestenfalls sekundär und, wie später noch deutlicher werden wird, gar nur ein fiktiver Vorwand war.

A Game at Chess (Ein Schachspiel)

Am 12. Juni 1624 genehmigte Henry Herbert A Game at Chess, ein Stück von Thomas Middleton. Vom 5. bis 14. August 1624 wurde es in The Globe aufgeführt. Danach wurde das Theater auf Anordnung von Jakob I.  für eine kurze Zeit geschlossen.  Es handelt sich bei dem Stück um eine Allegorie, in der die englische Seite durch weiße und die spanische Seite durch schwarze Schachfiguren personifiziert wurde. Das Stück muss vor dem Hintergrund der in der Bevölkerung herzhaft verhassten geplanten Heirat des Kronprinzen Karl mit der spanischen Infante Maria gesehen werden. So ablehnend stand die öffentliche Meinung dieser geplanten Heirat gegenüber, dass Prinz Karl und der Herzog von Buckingham sich 1623 nur in Verkleidung trauten, an den spanischen Hof zu reisen. Die Mission scheiterte kläglich, und im Oktober 1623 kehrten Karl und Buckingham unter dem Jubel der Menge über das Scheitern des Plans nach England zurück. Karl und Buckingham gingen dann selbst zur anti-spanischen Fraktion über, was nicht viel weniger als einer Entmachtung Jakobs I. gleichkam, der die Heirat befürwortete. Der 3. Earl of Pembroke war einer der Führer der anti-spanischen Fraktion. Angesichts der im August 1624 herrschenden Machtverhältnisse bei Hofe (Jakob I. starb im März 1625) war die von einem anti-spanischen Stück ausgehende Provokation nicht besonders heikel. Aber es blieb doch, dass einige Tabus gebrochen wurden. Der englische und der spanische König waren auf der Bühne dargestellt worden (die Darstellung lebender Fürsten auf der Bühne war tabu), zwar als Könige in einem Schachspiel, aber doch erkennbar. Besonders plastisch dargestellt als „Black Knight" („schwarzer Springer", eigentlich „schwarzer Ritter")  war der inzwischen nach Spanien zurückgekehrte Botschafter Diego Sarmiento de Acuña, Graf von Gondomar, ein persönlicher Freund Jakobs I., der als Einfädler des Heiratsplans galt. Die Aufführungszeit war sorgfältig geplant: in der Aufführungswoche  bereiste Jakob I. die Provinz. Kein Höfling in seiner unmittelbaren Umgebung hatte ihn über das informiert, was auf der Londoner Bühne vorging; erst durch den Protest des neuen spanischen Botschafters erfuhr er von der Aufführung. Henry Herbert, von seinem Verwandten, dem Lord Chamberlain Pembroke protegiert, kam ungeschoren davon. Der Autor Thomas Middleton scheint sich durch kurzzeitiges Untertauchen vor der Inhaftierung gerettet zu haben. Aber auch er wurde wohl von Pembroke geschützt. Auch die Bestrafung der Schauspieler fiel mit einem Bußgeld von 300 Pfund erstaunlich milde aus. Keiner von ihnen kam ins Gefängnis und nur einige Wochen später durften sie den Spielbetrieb wieder aufnehmen.

Es dürfte sich so verhalten haben, dass der Lord Chamberlain die Schauspieler für seine eigenen politischen Zwecke nutzte. So auch sein Bruder und Nachfolger Philip Herbert, 4. Earl of Pembroke genau zehn Jahre später.

The Late Lancaster Witches  (Die neuerlichen Hexen von Lancaster)

 „The Late Lancaster Witches im Jahr 1634 liefert ein recht deutliches Besipiel für das Zusammenspiel zwischen King's Men und einem Pembroke auf der Ebene der hohen Politik." (Andrew Gurr. The Shakespearian Playing Companies. Oxford: Clarendon Press, 1996, S. 146 ff.) Der Fall sei gleichsam eine Wiederholung von A Game at Chess in b moll. Wie zehn Jahre vorher zeigt sich wie „der Lord Chamberlain, jetzt William Herberts Bruder Philip die führende Londoner Schauspieltruppe benutzt, um populistische Unterstützung für seine eigene politische Position zu mobilisieren." 1633 waren in Lancaster auf die Anzeige eines Jungens und seines Vaters hin Frauen der Hexerei angeklagt und im März 1634 verurteilt worden, was automatisch die Todesstrafe bedeutet hätte. Der Junge widerrief seine Anschuldigung, aber im Juli 1634 befanden sich sechs der Angeklagten immer noch in Haft und warteten auf das Urteil des Kronrats. Die Beeinflussung dieses Urteils war wahrscheinlich der Grund, dass Thomas Heywood und Richard Brome beauftragt wurden, für die King's Men ein Stück über den Fall zu schreiben. Am 20. Juli richteten die King's Men ein Gesuch an den Lord Chamberlain, ihr geplantes Stück gegen die Konkurrenz des Salisbury Court Ensembles zu schützen, das angeblich ein eigenes Stück zur Hexenthematik aufzuführen beabsichtigte. Sie baten den Lord Chamberlain, die Aufführung dieses Stückes solange unterbinden, bis ihr eigenes Stück aufgeführt war. „Der Lord Chamberlain wies den Master of the Revels entsprechend an. „Das Skript, das Heywood und Brome vorbereiteten, basierte zum Teil auf den zwei am meisten belastenden Aussagen... Diese beiden Aussagen wie auch vier weitere, welche die beiden ersten überzeugend entkräfteten, waren vertraulich und nur Mitgliedern des Kronrats bekannt. Pembroke selbst war einer der sehr wenigen Personen, der Zugang zu diesen Dokumenten hatte und sie dem Schauspielerensemble zur Verfügung stellen konnte." Pembroke selbst hatte auch ein Motiv, ein politisches. „Der wahre Grund, weshalb Pembroke die für die Hexen belastenden Dokumente an die Schriftsteller weitergab und die vier entlastenden zurückhielt, war nicht etwa, dass er an Hexerei glaubte, sondern dass er Erzbischof Laud hasste. Laud war der mächtigste Mann im Kronrat und hatte sich vom Beginn an sehr skeptisch über die Anklage wegen Hexerei geäußert. Eine Zurückweisung der Anklage würde Lauds Position innerhalb des Kronrats weiter stärken, eine Zulassung sie schwächen. Wie bei A Game at Chess wurde das Stück in Auftrag gegeben, um die öffentliche Meinung aufzurütteln und dadurch die Entscheidung des Kronrats zu beeinflussen." (S. 147)

Hier wie im Falle des Game at Chess war das Ensemble der King's Men eher Werkzeug des jeweiligen Lord Chamberlain, William Herbert, 3. Earl of Pembroke im August 1624, und Philip Herbert, 4. Earl of Pembroke im August 1634.

© 2010 R. Detobel


[i] Diese Aufzeichnungen sind nicht vollständig und im Original nicht mehr vorhanden. Sie standen im 18. Jahrhundert jedoch Edmund Malone und George Chalmers zur Verfügung, die ausführlich aus ihnen zitieren. Diese Zitate wurden 1917 von Joseph Quincy Adams zu einem Ganzen zusammengestellt.


weiter zum X. Teil ---------- zurück zum I. Teil