Die Autorschaftsfrage und Das Shakespeare Handbuch: Die Lord Chamberlains

XII. SCHREIBEN VOM 10.  JUNI 1637 VON PHILIP HERBERT, EARL OF PEMBROKE, LORD CHAMBERLAIN AN DIE STATIONERS' COMPANY

„In der Vergangenheit haben sich die Schauspieler im Dienste seiner Majestät bei meinem Bruder und Amtsvorgänger darüber beschwert, dass mehrere ihrer Bücher: Komödien, historische Dramen aus Holinshed's Chroniken, Tragödien und Ähnliches, die sie zum besonderen Dienst an Seine Majestät und zur eigenen Nutzung besorgt und zu einem hohen Preis gekauft haben, von Mitgliedern der Drucker-, Verleger- und Buchhändlergilde erworben, verlegt und gedruckt worden sind, wodurch nicht nur die Schauspieler selbst einen Nachteil erlitten, sondern die Bücher selbst sehr zur Beeinträchtigung des Ansehens des Autors in verderbten Fassungen erschienen, weshalb der Meister und die Wardens (Geschäftsführer) der Drucker-, Verleger- und Buchhändlergilde von meinem Bruder aufgefordert wurden, darauf Acht zu geben und Maßnahmen zu ergreifen, um das Drucken von Interludien und Bühnenstücken einzustellen, bis die Schauspieler ihre Zustimmung dazu gegeben haben. 

Ungeachtet dessen ist mir mitgeteilt worden, dass bestimmte Kopien von Bühnenstücken, die den Dienern des Königs und der Königin gehören und von ihnen teuer erworben worden sind, neulich gestohlen oder auf indirektem Weg erlangt worden sind und einige davon zum Druck bereit liegen, was, sollte dies geduldet werden, den Schauspielern zum offenkundigen Schaden und großen Nachteil gereichen und sie in ihrem Dienst an König und Königin beeinträchtigen würde: Weshalb zur Vorbeugung und zur Rückgängigmachung erwünscht ist, dass der Meister und die Wardens der Drucker- und Buchhändlergilde Anweisung geben und aufzeichnen lassen, dass, wenn irgendwelche Bühnenstücke bereits eingetragen sein sollten oder hernach zum Zweck der Anmeldung zum Druck in die Halle gebracht werden sollten, die Diener des Königs und der Königin davon in Kenntnis gesetzt werden und eine Prüfung durchgeführt wird, um festzustellen, wem sie gehören. Und dass für keines von ihnen eine Druckerlaubnis erteilt wird, bevor es dem Meister und den Wardens der Drucker- und Buchhändlergilde aufgrund einer von John Lowin und Joseph Taylor für die Diener des Königs [King's Men] und von Christopher Beeston für das jugendliche Ensemble des Königs und der Königin [The King and Queen's Young Company, auch Beeston's Boys genannt] oder von solch anderen Personen, die zu einer gegebenen Zeit die Leitung dieser Ensembles inne haben, unterzeichneten Bescheinigung klar ist, dass sie dem Druck zustimmen, was ein Vorgehen bedeutet, das niemandem schaden kann außer denjenigen, die darauf hinausgehen, sich unberechtigterweise und ohne Respekt für Ordnung und gute Gesittung der Güter anderer zu bemächtigen, ein Betragen, das konsequent zu verhindern ich mit Zuversicht von Euch erwarte. Und deshalb anvertraue ich Euch diese Aufgabe, wobei, solltet Ihr irgendwelche weitere Autorität oder Befugnis brauchen von Seiner Majestät oder dem Kronrat, um desto besser diese Aufgabe zu versehen, ich nach entsprechender Inkenntnissetzung durch Euch oder durch die Schauspieler, mich um jene weitere Abhilfe bemühen werde, die dazu erforderlich sein wird. Und so grüße ich Euch aufs herzlichste und verbleibe

Euer liebender Freund  

 [Earl of]P[embroke] & M[ontgomery].

10. Juni 1637"

Gerald Bentley (Band I, S. 54-5) stellt fest, dass der Brief zweideutig sei, da er nicht klar spezifiziere, welches Ensemble gemeint sei, das des Königs (King's Men) oder das Kinderensemble des Königs und der Königin unter Leitung von Christopher Beeston, das im Februar 1637 gegründet worden war und den öffentlichen Spielbetrieb im Oktober 1637 aufnahm, als die Theater nach fast anderthalbjähriger Schließung wegen einer Pestepidemie wieder öffneten (bereits im Mai 1637 scheint es allerdings bereits bei Hof aufgetreten zu sein). Der Brief bezieht sich jedoch eindeutig auf beide Ensembles, da als zu konsultierende Schauspieler John Lowin und Joseph Taylor, King's Men, und Christopher Beeston, der Manager des neu gegründeten Kinderensembles genannt werden. „Beeston", so Bentley weiter, „mag versucht haben, die Stücke, die er gegen die reorganisierten Queen Henrietta's Men beanspruchte, zu schützen, da letztere sicher Rechte an Stücken gefordert haben könnte, die sie in der Vergangenheit gespielt hatten..." Bei dieser Vermutung spielt zweifelsohne der Hintergedanke an eine Verfügung des Lord Chamberlain vom 10. August 1639 mit, die insgesamt 44 Stücke den Beeston's Boys zuwies und anderen Schauspielerensembles verbot, sie aufzuführen, wobei er annimmt, das insbesondere die Queen Henrietta's Men gemeint wären. Auch Andrew Gurr macht sich diese These zu Eigen: „Die letztere Referenz deutet auf eine andere Möglichkeit hin, dass nämlich Beeston das Schreiben veranlasst haben könnte. Da er während der Schließung der Theater die Queen Henrietta's Men aus dem Cockpit vertrieben hatte, bildete er nun ein neues Ensemble junger Schauspieler, die 'Beeston's Boys', und muss darauf bedacht gewesen sein, seinen Bestand an Bühnenmanuskripten für sich zu behalten. Das bedeutete, dass er sie vom alten Ensemble der Queen Henrietta's Men fernhalten wollte, denn selbst ohne die Originalmanuskripte hätten letztere, wären die Stück einmal in Druck erschienen, sie aufführen können. Die mangelnde Präzision des Schreibens weist vielleicht darauf hin, wie wenig Philip Herbert [4. Earl of Pembroke] über die wirklichen Gründe des Schreibens wusste." (Andrew Gurr. The Shakespearian Playing Companies. Oxford, 1996, S. 383) Sowohl Bentley als Gurr fallen hier der fixen Idee zum Opfer, dass die Ensembles Eigentümer der Stücke und die Interventionen vom 10. Juni 1637 und 10. August 1639 vergleichbar wären. Sie sind aber sehr verschieden: Am 10. Juni 1637 versuchte Pembroke Einfluss auf die Stationers' Company zu nehmen oder zumindest durch sein Schreiben zu dokumentieren, dass er Einflussnahme beanspruchte. Am 10. August 1639 blieb er innerhalb seines Kompetenzbereichs, der Aufführung der Stücke (mehr dazu im nächsten Absatz). Zunächst ist jedoch festzustellen, dass die angebotenen Erklärungen durch die Publikationsgeschichte der Stücke eindeutigt widerlegt werden. Aus Tabelle 4 ist zu erkennen, dass 31 Stücke, die früher zum Repertoire der Queen Henrietta's Men gehörten, in den Besitz der Beeston's Boys wechselten, dass weiter 15 dieser Stücke, fast die Hälfte, 1637 bereits gedruckt waren; dass von den 16 übrigen Stücken nicht weniger als 12 zwischen 1637 und 1640, ¾ also in Druck erschienen. Unter den Annahmen, Bentleys und Gurrs hätte Beeston zwischen 1637 und 1640 just das getan, was er angeblich im Juni 1637 zu verhindern bestrebt gewesen sein soll. Doch diese Annahmen sind unrichtig: weder die Schauspieler noch der Lord Chamberlain konnte Einfluss darauf nehmen, weil es in der Mehrzahl der Fälle der Autor selbst war, der seine Stücke in Druck gab.

Völlig unthematisiert bleibt eine wichtige Stelle in Pembrokes Brief: „...solltet Ihr irgendwelche weitere Autorität oder Befugnis brauchen von Seiner Majestät oder dem Kronrat, um desto besser diese Aufgabe zu versehen, ich nach entsprechender Inkenntnissetzung durch Euch oder durch die Schauspieler, mich um jene weitere Abhilfe bemühen werde, die dazu erforderlich sein wird." In Beitrag VII über „Authority (Genehmigung)" haben wir in Anlehnung an Walter Greg festgestellt, dass die Befugnis des Master of the Revels, Bühnenstücke (und dann und wann auch ein anderes literarisches Werk) zum Druck zu genehmigen letztendlich davon abhing, ob die Wardens der Stationers' Company seine „authority" akzeptierten. Wir haben auch gesehen, dass sie diese zweimal nicht als ausreichend erachteten. Hier nun bestätigt Pembroke diese Feststellung dadurch, dass er mit der Möglichkeit rechnet, die Wardens könnten „further authority" verlangen. Wir haben auch gesehen, dass die „further authority" für die Wardens immer die eines bischöflichen Zensors war. Oberste Zensoren waren der Bischof von London und natürlich der Erzbischof von Canterbury. Erzbischof von Canterbury war 1637 William Laud, Pembrokes politischer Gegner. Es ist nun interessant, dass Pembroke diese „further authority" nicht dort zu holen versucht, wo sie nach Ansicht der Wardens lag, nämlich bei Pembrokes politischem Gegner, Erzbischof Laud, sondern entweder direkt vom König oder vom Kronrat. Man kann dies als einen Versuch betrachten, Erzbischof Laud zu umgehen und im Hinblick auf die bevorstehende Verabschiedung des neuen Pressegesetzes am 11. Juli 1637 vielleicht doch noch die Anerkennung der Befugnis des Master of the Revels und über ihn des Lord Chamberlain für die Genehmigung von Bühnenstücken zum Druck unter Umgehung von Laud zu erzwingen. Denn es dürfte kein Zufall sein, dass das Schreiben einen Monat vorher, am 10. Juni, erging. 

Mit anderen Worten: So wie der 3. Earl of Pembroke 1624 mit der Aufführung von A Game at Chess und 1634 der 4. Earl of Pembroke im Falle von The Late Lancaster Witches die Schauspieler für die eigenen politischen Interessen einspannte, so wohl auch hier mit seinem Schreiben vom 10. Juni.

Ebenso völlig unthematisiert bleibt die Frage, wie denn die Stationers' Company auf Pembrokes Schreiben reagierten. War der Brief vom 3. März 1623 noch dem Drucker vorgelesen, sein Eingang aufgezeichnet und seine Aufbewahrung in „the book of letters" angeordnet worden und der Brief vom 3. Mai 1619 aufgezeichnet worden, so findet sich in den Aufzeichnungen (Court Book C) keine Spur dieses Schreibens (wie der Brief vom 7. August 1641 des Earl of Essex wurde er in den Unterlagen, „warrant books", der Lord Chamberlains entdeckt).  

Bereits in den 1620er Jahren liefen Vorbereitungen zum neuen Pressegesetz. (Arber III.690 und 7004-). Am 21. November 1634 findet sich folgende Eintragung in den Aufzeichnungen des Führungsorgans der Gilde, des Court of Assistants (S. 261):

Mr. Attorney                         This day a Letter was brought to the Table from Mr Attorney
Letter on the                        Sir John Bancks by one of  his men in the behalfe of Mr.
Behalfe of Mr                        Walbancke to make up his halfe yeomandry part a whole one
Walbancke                           which upon election afterwards was performed.

 „Yeomandry" war der Anteil eines „yeoman" an einem der drei „Stocks", dem englischen, lateinischen oder irischen. „Stocks" waren Bücherbestände, die der Zunft, nicht einzelnen Verlegern, gehörten. Sie waren auf die drei Hierarchiestufen der Zunft verteilt: die „Assistants", die „Livery" (diejenigen, die bei Fierlichkeiten eine Livree oder Uniform der Zunft trugen) und die niedrigste Stufe, abgesehen von den Lehrlingen, die „Yeomen", was man vielleicht am besten als „die einfachsten erwachsenen Mitglieder" übersetzt. Walbanckes Anteil wurde von einem halben auf einen ganzen Anteil erhöht. Auf Bitte von Sir John Bankes, dem „general attorney" oder Generalstaatsanwalt. Sir John Bankes war ein wichtiger Mann für die Zunft. Sein Name steht an allervorderster Stelle in dem neuen Pressegesetz, dem zweiten Star chamber Decree vom 11. Juli 1637: „This day Sir John Bankes Knight, His Maiesties Attourney Generall produced in Court a Decree..." (Arber IV.529).  Am 4. September 1637 liest man folgende Eintragung (S. 300)

A Gratuity of xxli          This day the Court tooke into consideration what should
Given to the Kings        be given to mr Attorney for his Love & kindness to the
Attorney touching        Company about the new decree. Whereupon it was the
new Decree                 in ordered that xxli should be sent him, Which the warden
Starchamber               accordingly presented him with.

Betrifft: eine Schenkung von 20 Pfund an den Generalstaatsanwalt im Zusammenhang mit dem neuen Dekret in der Star Chamber. Der Court of Assistants hat überlegt, was dem Generalstaatsanwalt zu schenken sei für die „Liebe und Freundlichkeit, die er der Zunft erwiesen hat." Zwanzig Pfund wurde ihm überbracht.

Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass die Leitung der Stationers' Company bereits informiert war, dass, anders als es der Lord Chamberlain und der Master of the Revels vermutlich gehofft hatten, das neue Gesetz der faktischen Zensurbefugnis des letzteren nicht die noch fehlende Rechtsgrundlage verschaffen, sondern, im Gegenteil, ihm auch die faktische Befugnis entziehen würde, die zurückkehrte in die Obhut von Pembrokes Gegner Erzbischof William Laud. Weshalb von Pembrokes Schreiben keine Notiz genommen, auch das Schreiben vom 3. März 1623 seines Bruders und Vorgängers aus den Archiven entfernt und ebensowenig Kenntnis genommen wurde vom Schreiben vom 7. August 1641 seines Nachfolgers.

ANHANG:

ENGLISCHES ORIGINAL DES BRIEFES

"Whereas complaint was heeretofore presented to my Deare brother & predecessor by his Majesties servantes the Players, that some of the Company of Printers & Stationers had procured, published & printed diverse of their bookes and Comaedyes, Tragedyes Cronicle Historyes, and the like which they had (for the speciall service of his Majestye & for their own use) bought and provided at very Deare and high rates. By means wherof not onely they themselves had much prejudice, but the bookes much corruption to the injury and disgrace of the Authors, And therupon the Masters and Wardens of the company of printers & stationers were advised by my Brother to take notice therof & to take Order for the stay of any further Impression of any of the Playes or Interludes of his Majestes servantes without their consentes."

Notwithstanding which I am informed that some Coppyes of Playes belonging to the King & Queenes servantes the Players, & purchased by them at Deare rates, haveing beene lately stollen or gotten from them by indirect meanes are now attempted to bee printed & that some of them are at the Presse & ready to bee printed which if it should bee suffered, would directly tend to their apparent Detriment & great prejudice & to the disenabling of them to doe their Majesties service: ffor prevention & redresse wherof it is desired that Order bee given & entred by th e Master & Wardens of the companye of Printers & Stationers,  that if any Playes bee allready entred, or shall heerafter bee brought unto the Hall to bee entred for printing that notice therof bee given to the Kinges & Queenes servantes the Players, & an inquiery made of them to whome they doe belong. And that none bee suffered to bee printed untill the assent of their Majesties said servantes bee made appeare to the Master & Wardens of the Company of Printers & Stationers by some Certificate in writeing under the handes of Iohn Lowen & Ioseph Taylor for the Kings servantes & of Christopher Bieston for the Kings & Queenes young Company, or of such other persons, as shall from time to time have the direcõn of those companyes, which is a course that can bee hurtfull unto none, but such as goe about uniustly to prevayle themselves of others goodes without respect of Order or good gou'nment which I confident you will bee carefull to avoyd, And therfore I commend it to your speciall care & if you shall have need of any further Authority or power either from his Majesty or the councell table, the better to inable you in the execution therof ,  upon notice given to mee either by your selves or by the Players I will endeavour to apply that further remedye therto which shall bee requisite. And soe I bidd you very hartily farewell & rest

Your very loueing friend. [Earl of]P[embroke] & M[ontgomery]. Iune 10. 1637

© 2010 R.Detobel


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