Shapiro-Tagebuch (19) Sonett 121

'Tis better to be vile than vile esteemed,
When not to be, receives reproach of being,
And the just pleasure lost, which is so deemed,
Not by our feeling, but by others' seeing.
For why should others' false adulterate eyes
Give salutation to my sportive blood?
Or on my frailties why are frailer spies,
Which in their wills count bad what I think good?
No, I am that I am, and they that level
At my abuses, reckon up their own,
I may be straight though they themselves be bevel;
By their rank thoughts, my deeds must not be shown
Unless this general evil they maintain,
All men are bad and in their badness reign.

Prosaübersetzung:

Es ist besser schlecht zu sein, als schlecht zu scheinen, wenn nicht zu sein der Tadel trifft zu sein. Und die wahre Genugtuung ist verloren, wenn sie von der Weise kommt, wie andere uns sehen, und nicht durch das eigene Gefühl. Denn warum sollten die unreinen Augen der Anderen ihren Segen geben über mein verspieltes Blut. Oder warum sollten meine Schwächen noch Schwächere bespitzeln, die etwas als schlecht betrachten wollen, was ich als gut erachte? Nein, ich bin was ich bin, und die da zielen auf meine Fehltritte, rechnen die eigenen auf. Ich mag gerade sein, sie selbst hingegen schräg. Mein Tun soll nicht durch ihre schnöden Gedanken gezeigt werden. Es sei denn, sie beharren drauf, das Übel ist allgemein: Alle Menschen sind schlecht und walten in ihrer Schlechtigkeit.

Die spezifische höfische Situation scheint auch Helen Vendler nicht in den Blick gekommen zu sein (oder sie hat ihn aus ihrem Blickfeld entfernt). Sie schreibt, dass die Schlusszeile „All men are bad and in their badness reign" eine zweifache Interpretation zulässt, entscheidet sich jedoch für die zweite: „they maintain that 'All men are bad' and therefore the speaker concludes that they (the others) are the sovereigns of this kingdom of bad men, in which (by definition via their motto) both they themselves and the speaker are included." (S. 515) ("Sie bleiben dabei, dass alle Menschen schlechts sind, weshalb der Sprecher schließt, sie (die Anderen) sind die Herrscher in diesem Königreich der schlechten Menschen, in das (per definitionem durch ihr Motto) sie selbst und der Sprecher eingeschlossen sind.")

Doch anderseits schreibt sie: „The personal relations between others (they) and the speaker (I) revealed in Q2 have, it appears, stimulated the impersonal bitter generalizing of Q1." (S. 514) ("Die persönlichen Beziehungen zwischen Anderen (sie) und dem Sprecher (Ich)  im zweiten Vierzeiler haben, so scheint es, die unpersönliche bittere Verallgemeinerung im ersten Vierzeiler angeregt.")

Im Beitrag 16 haben wir gesehen, dass die Meinung der Anderen, der Blick oder das Auge der Anderen das allgemeine Kriterium der Statuszuweisung war, oder m. a. W.: für die Zugehörigkeit zur „guten Gesellschaft". Die Legitimität dieses verhaltensethischen Prinzips der „guten Gesellschaft" ist es nun, was der Dichter nahezu ketzerisch zugunsten der individuellen Gesinnung verwirft. Die „gute Gesellschaft" verkündet er, ist eine verdorbene („adulterate"). Damit verabschiedet er sich zwar trotzig, rebellisch aus der „guten Gesellschaft", wird aber reziprok auch selbst aus dieser ausgestoßen. Das ist wohl der historische Hintergrund dieses Sonettes, nicht, wie Vendler meint, die biblische Parabel der auf Ehebruch ertappten Frau und Jesu Beschwörung „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" (Johannes 8:7). Richtig, aber u. E. ein wenig zu verharmlosend, weist sie auf die moralische Verzweiflung hin, die aus der Eröffnungszeile einem ins Gefühl schlägt und die „extreme Verwundbarkeit durch das Urteil der Anderen zeige". (S. 515) Etwas Anderes als extreme Verwundbarkeit kann auch nicht erwartet werden, wenn dieses Urteil den Hofmann zum „déclassé", zum „outcast" macht.

Vendler versucht aber keineswegs, das Ich des Sprechers wegzudenken, das sie als „bitter" im ersten Vierzeiler, „entrüstet" im zweiten und „entschlossen" im dritten bezeichnet.

In seinem „großartigen" Buch behauptet James Shapiro, es muss immer wieder daran erinnert werden, Shakespeare hätte sich das alles eingebildet, sich in einen Künstlerrausch gesteigert etwa - kein Wunder, dass die Sonette in seinem Buch nicht staffinden. Oder soll man es seiner fehlenden Prädisposition zu Lyrik zuschreiben? Und wo bleibt, das Gefühl für die Zeit, das er regelmäßig einklagt? Es wird zur vagen Allgemeinheit verdünnt, mit Platitüden, die sind nicht zu überbüten.

Schließlich noch zwei Anmerkungen.

Das „I am that I am" steht auch in einem Brief vom 30. Oktober 1584 von Edward de Vere an seinen Schwiegervater Lord Burghley, dem er vorwirft, suggeriert zu haben, er, de Vere, sei nicht fähig, seine eigenen Geschicke zu lenken. „Aber bitte, Milord, verlaßt diesen Kurs, da ich nicht Euer Mündel or Eur Kind bin. Ich diene Ihrer Majestät - und ich bin, der ich bin, durch Heirat Euch nahestehend, aber frei, und will nicht dem Verdacht ausgesetzt sein, ich wäre zu schwach, nicht befehlen zu können, und müßte von Dienern Befehle entgegenzunehmen oder wäre nicht fähig, mich selbst zu lenken." (Übersetzung von Kurt Kreiler in Der Mann, der Shakespeare erfand, Frankfurt am Main 2009, S. 310).

Und was bedeutet „sportive blood" in der 6. Zeile? In seinem Epigramm - es wird in einem der nächsten Einträge darauf zurückzukommen sein - schreibt der Schriftsteller John Davies of Hereford (nicht zu verwechseln mit dem Zeitgenossen Sir John Davies des Orchestra), Shakespeare wäre ein Begleiter für einen König gewesen, hätte er „not plaid some Kingly parts in sport". Auch dieses Epigramm: Fehlanzeige bei Shapiro. Es wirft ja auch Fragen auf, Fragen, die Shapiro wahrscheinlich nicht beantworten kann und die er deshalb nicht gestellt wissen will. Könnte in dem „sportive blood" ein Hinweis versteckt sein, dass Edward de Veres „sportive blood" ihn verleitet hätte, auf der öffentlichen Bühne in Königsrollen (und vielleicht anderen) zu erscheinen, was dann ein Grund gewesen wäre, dass ihm die Gunst der Königin entzogen würde, da er in den „Augen der Anderen" eine fatale Verhaltensgrenze überschritten hätte.

Es gibt darauf noch einige wenige etwas deutlichere bis ziemlich deutliche Hinweise: die Sonette 110 und 111, John Davies of Herefords Epigramm, Henry Chettles Widerruf im Dezember 1592.

Gefrägig muss man dann sein, nicht bloß gesprächig wie Shapiro.

© Robert Detobel 2010