Shapiro-Tagebuch (26) Liebherzl (Epilog)

Auch wenn nicht jedes Für und Wider hier unter die Lupe genommen worden ist (in dem Buch Shakespeare: The Concealed Poet ist dies im zweiten Teil in größerer Ausführlichkeit geschehen), kann kaum daran gezweifelt werden, dass, wie es übrigens die orthodoxe Theorie lange gehalten hat und teilweise noch hält, der dritte Stückeschreiber, der genannt wird, Shakespeare ist, wenn wir die aus der Betrachtung vor allem von Chettles Entschuldigung gewonnenen Erkenntnisse mit dem Epigramm von John Davies of Hereford in Vergleich bringen.

Davies' Epigramm weist Shakespeare als einen Hofmann aus. Auf einem anderen Weg: durch die Betrachtung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze zur Beleidigung oder Verleumdung hochrangiger Personen (diese Kategorie umfasste mehr als nur die Angehörigen des Hochadels), durch die Intervention der „divers of worship", durch das Ausbleiben einer persönlichen, weil irrelevanten Entschuldigung Henry Chettles (ein deutlicher Hinweis, der bisher niemandem aufgefallen zu sein scheint), konnten wir ableiten, dass der dritte Schriftsteller ein Aristokrat ist.

Aus Davies' Epigramm erfahren wir, dass der Hofmann auf der Bühne aufgetreten ist, und dies kann nur die öffentliche Bühne gewesen sein (wozu auch die sogenannten „privaten" Theater gehören). Chettle bezeugt dasselbe durch den Ausdruck „the quality he professes".

Wenn Davis uns mitteilt, dass der Hofmann Shakespeare auf der öffentlichen Bühne bestimmte Rollen gespielt hat, so teilt er uns zugleich mit, dass er ein für einen Aristokraten „unehrliches", „dishonest" Verhalten an den Tag gelegt hat. Gleichwohl erklärt Davies, dass Shakespeare „honesty" gesät habe. Doch Davies bezieht dies nicht auf ein Verhalten, sondern auf seine Kunst.

Der Brief in Greene's Groatsworth of Wit spielt ebenfalls auf die fehlende „honesty" im Verhalten des dritten Schriftstellers an („given to extreme shifts"), scheint aber auch einen Hinweis auf die Schaupielerei zu enthalten („so mean a stay").

Die „divers of worship" geben auch keine Erklärung ab, die das Verhalten des dritten Schriftstellers von dem Vorwurf der „dishonesty" freispräche. Auch sie beziehen diese „honesty" auf seine Kunst. Das war möglich, weil, wie gesehen, das Adjektiv „honest" zu den verschiedensten Tätigkeiten hinzutreten konnte.

Aus einem anderen Grund noch war dies möglich. In seinem Nachwort zu Baldassare Castigliones Buch vom Hofmann bemerkt Roger Willemsen scharfsinnig:

„Es fällt auf, wie oft im «Cortegiano» Begriffe aus dem Bezirk des Ästhetischen mit solchen des praktischen Lebens identifiziert werden. «Harmonie», «Anmut», «Gleichmaß», «Ausgewogenheit» werden in der ersten Hälfte des Quattrocento von Leon Battista Alberti in seinem Malereitraktat als Gesetzmäßigkeiten der Bildung einer rechten Historie beschrieben. Sie bezeichnen bei Castiglione nicht mehr programmatische Größen der Kunst allein, sondern ebenso solche des vortrefflichen Menschen und seines Handelns. Wo Ludovico Fregoso die geistigen und körperlichen Vorzüge des idealen Hofmanns beschreibt, ist stellenweise kaum zu unterscheiden, ob er von der Bildung eines Kunstwerks oder der eines Individuums spricht."

Gleichsam reziprok verhält es sich in einem 1589 anonym erschienenen, aber George Puttenham zugeschriebenen Werk über Poetik, The Art of English Poesie. Dort werden Stilvorschriften zum Teil in Begriffen des Verhaltens eines idealen Hofmannes gefasst.

Verhalten des Hofmannes und Kunst standen somit in einer Wechselbeziehung. Dass sich John Davies of Hereford sowohl wie die „divers of worship" im Falle Shakespeares die „honesty", die „Ehrenhaftigkeit", jeweils explizit auf die Kunst beziehen, lässt vermuten, dass Shakespeares Verhalten gemäß dem höfischen kodex nicht „honest" war, anders ausgedrückt: dass er sich nicht konformistisch verhielt.

Doch hätte man da etwas anderes erwarten können?

© Robert Detobel 2010