Frage 1

Wie hatte Shakespeare in Kindheit und Jugend Zugang zu Büchern in Stratford-upon-Avon?

[Sylvia Morris, unabhängige Shakespeare-Forscherin, früher Leiterin der Shakespeare Centre Bibliothek und des Archivs, antwortet für den SBT.]

Nun, religiöse Bücher, wie das Gebetbuch und die Bibel, gab es in der Kirche, die er jede Woche besuchte. und in der Stratforder Grammar School (Lateinschule) würde er aus Büchern, darunter William Lilys lateinischer Grammatik und Ovids Metamorphosen, gelernt haben.
Einige Bürger waren im Besitz ihrer eigenen Bücher. Der Pfarrer, der Shakespeare getauft hat, hinterließ ein Latein-Englisch Wörterbuch speziell für den Gebrauch durch Schulkinder. Der Pfarrer in einem benachbarten Dorf hinterließ 168 Bücher zu Themen wie Geschichten und Hobbys sowie zu Religion, und ein Mann aus Shottery, Anne Hathaways Dorf, besaß Bücher zum Rechtswesen.
Selbst in dem merkwürdigen Umfeld des isoliert liegenden kambrischen Dorfs Troutbeck sind in einem Bauernhaus noch Bücher aus Shakespeares Lebzeiten. Niemand weiß, wie sie dort hingekommen sind, aber es ist anzunehmen, dass sie aus den lokalen Märkten stammten. Wahrscheinlich wurden Bücher auch auf den Märkten in Stratford gekauft und verkauft.
Bücher waren eine Quelle der Unterhaltung und Belehrung nicht nur für die Reichen.

Erwiderung:

Die Frage ist nicht, welche Bücher vielleicht gerade in Stratford-on-Avon gewesen sein mögen, sondern die Frage ist, durch welche zeitgenössischen Nachweise sich dokumentieren lässt, wie er die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben in Englisch und in vielen Fremdsprachen erwarb und woher seine weit reichenden Kenntnisse stammen, die sich in Shakespeares Werken finden. Nach 40 Jahren als Bibliothekarin bin ich mit vielen der Quellen vertraut, die von diesem Autor in seinen veröffentlichten Werken verwendet wurden. Ich konnte Forscher dabei unterstützen, seltene und moderne Ausgaben von diesen Quellen zu finden und die Liste der Quellen zu erweitern. Es ist eine phänomenal unfangreiche Bibliographie. Ein orthodoxer Gelehrter fand, dass der Autor über 250 Werke als Quellen verwendet hat, möglicherweise 400.

Der Autor muss in jungen Jahren sehr viel Zeit mit Lesen und Lernen verbracht haben, um mit dem Verständnis schreiben zu können, das sich in seinen Werken zeigt.

Die Forscher haben vergeblich nach Dokumenten gesucht, nicht nur aus den ersten 28 "verlorenen Jahren", sondern auch nach Spuren von Shakespeares Schreiben und Lesen bis 1616. Es gibt keine Briefe von ihm. Die ihn betreffenden Dokumente beziehen sich auf Steuern, Geschäfte, und sonst gibt es nur sein Testament. Doch seine Werke nutzen Quellen in Latein, Griechisch, Französisch, Spanisch und Italienisch und darunter auch solche, die zu der Zeit noch nicht ins Englische übersetzt waren.

Der Autor hatte sichtlich große Freude an Wörtern. Er muss Zugang zu Büchern an einer Universität oder aus privaten Bibliotheken gehabt haben, um sein umfangreiches Wissen der klassischen Literatur, aus Geschichte, Philosophie, Recht, Astronomie, Mathematik, der höfischen Regeln in Frankreich, Italien und England sowie seine Vertrautheit mit dem aristokratischen Zeitvertreib zu erwerben.

Von den Jahren, in denen er, wie angenommen wird, zwischen London und Stratford reiste und gleichzeitig Gedichte und Dramen geschrieben haben soll, sollte es definitive Nachweise geben. Andere englischen Autoren der Zeit haben schriftliche Spuren hinterlassen. Weder die Idee des "Genies" noch Spekulationen über Gespräche in einigen Tavernen können meine begründeten Zweifel an der orthodoxen Biographie dieses Mannes aus Stratford zerstreuen.

- Virginia J. Renner, pensionierte Leiterin des Reader Services Department, Huntington Library, Unterzeichnerin der „Erklärung der begründeten Zweifel" (Declaration of Reasonable Doubt), zusammen mit zehn ehemaligen Kollegen.

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