Vorwort

Wer hätte nach all den öffentlichen Kontroversen über Anonymous gedacht, als der Filmemacher Roland Emmerich und seine Filmgesellschaft sich bereits anderen Projekten zugewandt hatten, dass sich herausstellen würde, dass der eigentliche Kern des Streits um Shakespeares Verfasserschaft schon immer an einer anderen Stelle gelegen hat?

Da sich der „Shakespeare Birthplace Trust" (SBT) durch den Film bedroht fühlte, startete er fast zwei Monate vor dem Kinostart von Anonymous die "60 Minutes mit Shakespeare", einen Präventivschlag gegen den Film: Auf einer Website werden von 60 Shakespeare-Experten, Theater-Profis und anderen jeweils 60-Sekunden-Antworten auf eine von 60 Fragen gegeben. Dies drängte den Film in die Defensive, verringerte die Besucherzahlen trotz günstiger Filmkritiken über die hohe Qualität der Films, die beeindruckende Rollenbesetzung und mehrere herausragende Darstellerleistungen, vor allem von Rhys Ifans.

Der SBT wusste jedoch wenig über einen anderen Gegner - der sich möglicherweise schon lange als weitaus ernstzunehmender erweist und der die Gelegenheit ergriff, über ein Dutzend Organisationen und fast vierzig Wissenschaftler - viele von ihnen mit genauso beeindruckenden Referenzen wie die Vertreter des SBT - in eine Gemeinschaftsaktion einzubinden, um zu jeder Antwort in "60 Minutes" eine überzeugende Widerlegung zu schreiben. Die von ihnen vorgelegte Schrift "Exposing An Industry in Denial: Authorship Doubters Respond To '60 Minutes with Shakespeare" ist hervorragend in der Darlegung der Nachweise und der Begründung der Argumente. An vielen Stellen wird gezeigt, dass den Autoren der SBT-Antworten die Sachkenntnis fehlt bzw. sie nicht kompetent sind.

Am beeindruckendsten ist aber vielleicht die Geschwindigkeit, mit der die Schrift fertig gestellt wurde: vom Start der SBT-Kampagne bis zur Veröffentlichung des Dokuments vergingen weniger als drei Monate. Der SBT wird sich wahrscheinlich nie haben träumen lassen, dass all diese Autorschafts-Organisationen - berüchtigt für ihre Fraktionsbildungen und ihren Streit über den besten Kandidaten - so schnell zusammenkommen könnten, um so kurzfristig ein beeindruckendes Dokument zu schreiben.

Der SBT sollte aber nicht überrascht sein. Die „Shakespeare Authorship Coalition" (SAC), 2006 in Claremont, Kalifornien gegründet, hatte sich bereits als ernstzunehmender Gegner mit der Declaration of Reasonable Doubt About the Identity of William Shakespeare  (Erklärung über begründete Zweifel an der Identität des William Shakespeare) erwiesen. Am 14. April 2007 wurde die Erklärung veröffentlicht und im Geffen Playhouse in Los Angeles und an der Concordia University in Portland, Oregon, feierlich unterzeichnet. Fünf Monate später brachten meine Schauspielkollegen und SAC -Förderer, Derek Jacobi und Mark Rylance, die Erklärung in Großbritannien in die Öffentlichkeit mit einer anderen feierlichen Unterzeichnung beim Chichester Festival Theatre in Chichester, West Sussex´.

Seitdem haben über 2.200 Menschen die Erklärung unterzeichnet, über 800 mit universitären Abschlüssen, fast 400 davon sind gegenwärtige oder ehemalige Hochschuldozenten (darunter viele führend in ihren Bereichen), zwei sind Richter des obersten US-Bundesgerichts und zahlreiche Shakespeare-Darsteller sind darunter. Auch wenn er sonst nichts anderes getan hätte, so hat der SAC dadurch bereits das falsche Klischee von uns Autorschafts-Zweiflern zerstört. Die Unterzeichner der Erklärung sind eine beeindruckende Gruppe, und ich bin stolz, einer von ihnen zu sein.

Aber bedrohlich (für den SBT) ist nun, dass die SAC und ihr Gründer, John M. Shahan, Vorsitzender und Geschäftsführer der Koalition, Hauptautor der Declaration of Reasonable Doubt und der Organisator und Redakteur des Projekts zur Widerlegung der "60 Minutes" Durchhaltevermögen gezeigt hat. Anders als die meisten Autorschafts-Organisationen konzentriert sich der SAC auf nur ein Ziel: das Autorschaftsproblem durch zunehmende Bekanntheit der "vernünftigen Zweifel" über die Identität des Autors zu einer wissenschaftlich legitimen Frage zu machen und dies bis zum 23. April 2016, dem 400. Jahrestag des Todes von Mr. Shakspere zu erreichen. Auf der Grundlage dieses jetzt vorgelegten Dokuments, bestehen gute Aussichten, dass John Shahan und der SAC zu ihrem Ziel kommen.

- Michael York, MA (Oxon), OBE, Los Angeles, Kalifornien, 12. November 2011.

Einleitung

Liste der Fragen