Rote Heringe in der Nord-West-Passage

In dem Kapitel 34 „The Lure of Gold" bleibt sich Professor Nelson treu. Er, der „professional", braucht keine Arbeiten anderer, sondern spricht „ex cathedra" seine Weisheiten. Es sind die Weisheiten eines Doktors Pangloss des 21. Jahrunderts aus Voltaires Satire (Candide, ou l'Optimisme (1759) /Candide: or, All for the Best), der in der letzten und damit besten aller Welten lebt und von keinem Wissen getrübt und betrübbar, alle vorherigen Welten aburteilt. Nelson hat einige Werke zur Nordwest Passage gelesen. Gelesen? Sie sind in seinem Literaturverzeichnis aufgeführt. Ob er sie auch gelesen hat, muss gelegentlich bezweifelt werden.

Nicht einmal Wörterbücher zu konsultieren hat er für nötig befunden. Ein lateinisch-englisches Wörterbuch zum Beispiel. Er hätte dann gesehen, dass „meta incognita" nicht das bedeutet, was er meint. Auf Seite 187 behauptet er, „meta incognita" bedeute „unbekanntes Land", „terra incognita" also. In dem lateinisch-englischen Wörterbuch hätte er sehen können, dass „meta incognita" soviel bedeutet wie „der äußerste unbekannte Punkt", nicht „unbekanntes Land". Er hätte dies auch in einem zeitgenössischen Bericht feststellen können, den er in der Bibliographie hätte erwähnen und auch lesen müssen: George Best, The Three Voyages of Martin Frobisher, edited by rear-admiral Richard Collinson for The Hakluyt Society, 1867. George Best, der Kapitän bei de ersten Frobisher-Expedition war, verweist auf die Taten des Herakles,  eben auf die meta Herculea, die beiden Felsen an der Straße von Gibraltar und merkt an: "Und weil dieser Ort oder das Land bisher unentdeckt geblieben ist und keinen eigenen Namen besitzt, mit dem er bezeichnet werden könnte, nannte Ihre Majestät es sehr passend Meta Incognita als eine bisher unbekannte Marke und Grenze."

Doch an Genauigkeit ist Nelson überhaupt nicht gelegen. Warum auch, wenn man über diese wunderbare Begabung verfügt, jede Scharte durch hochgradig professionell vorgetragene Worthülsen auszuwetzen? 

Das Kapitel eröffnet mit einigen besserwisserischen Bemerkungen zu der Unsinnigkeit der englischen Suche nach einer Nordwest Passage. Die Engländer, glaubt man Nelson, seien eigentlich starrköpfige Trottel gewesen. „Ortelius' 1572er Landkarte, die den Verlauf der Ostküste Nordamerikas mit bemerkenswerter Genauigkeit zeigt,  zeichnet die pazifische Küste gar noch westlicher, als sie in Wirklichkeit ist, wobei nichts im Enferntesten auf einen Wasserweg hindurch oder ringsherum hindeutet. Europäische Kartographie hinderte die Engländer nicht daran zu meinen, sie wüssten es besser als ihre spanischen und kontinentalen Rivalen." (S. 186). Die Engländer, die eingebildeten Eingebildeten, verfolgten Nelson zufolge, die falsche Fährte, das, wofür die englische Sprache den Ausdruck „red herring" kennt.

Allein wie die „weißen Heringe" sind diese „roten Heringe" wieder nur das Geschöpf von Nelsons Einfalls- und Gedankenlosigkeit. Einfallslos, da ihm nicht der Einfall gekommen ist, in einer Enzyklopädie auf der Schnelle einiges über die Geschichte der Suche nach der Nordwest Passage zu erfahren. Denn vor Nelson scheint entweder niemandem diese seine Einsicht gekommen oder diese Einsicht ernst genommen worden zu sein. Denn die Suche nach der Nordwest Passage ging weiter. 1583: Sir Humphrey Gilbert, in den 1580er Jahren gab es drei Expeditionen von John Davis, 1611: Henry Hudson, 1845: Sir John Franklin. Aber nicht nur die  „uneinsichtigen" Engländer beteiligten sich daran. Auch Dänen und gar Portugiesen, obwohl die im Süden reichlich Seewege zwischen dem Atlantik und dem Pazifik kontrollierten. Und gar Leute aus den „Low Countries", den siebzehn Provinzen. 1577 erhielt der englische Geograph Richard Hakluyt Besuch von einem Kollegen aus den Niederlanden (eigentlich aus Antwerpen, das damals zu den „Niederen Ländern" zählte), der sich für Frobishers Expedition interessierte und Hakluyt darlegte, dass der Krieg in den Niederlanden bisher verhindert habe, auch von dort Expeditionen zur Entdeckung der Nordwest Passage zu unternehmen. Sein Name: Abraham Ortelius, auf dessen Karte sich Professor Nelson beruft, die englischen Bestrebungen als unintelligente Besserwisserei zu kennzeichnen (siehe „Ortelius" unter englischen Texten).

Nelson - so muss man daraus schließen - hat Ortelius' Landkarte besser verstanden als Ortelius selbst. Trotz der Tatsache, dass dem Norweger Roald Amundsen 1906 schließlich die Passage gelang.

Auf Seite 188 schreibt Nelson, dass Oxford seinen Schulden teilweise zu entkommen suchte, indem er sich des „einfachen Behelfsmittels" bediente, seine Einlage von £3000 nicht vollständig einzuzahlen. „am 30. November [1578] schuldete er immer noch £450. Ein Glück für ihn, dass es nicht möglich war, einen Earl wegen Schulden ins Gefängnis zu werfen. [Michael] Lok, der immer noch £460 schuldete, landete im Fleet[gefängnis]." Michael Lok landete aber nicht wegen dieser Schulden im Gefängnis, sondern weil ihm betrügerisches Verhalten vorgeworfen wurde. Ist dies eine gemeine Verzerrung? Zum geringeren Anteil sicher. Ein großer Anteil an Nelsons Irrtümern hat aber seine schier unvorstellbare Schlampigkeit und damit auch: Dummheit. Obwohl er über frühneuzeitliche Aktiengesellschaften schreibt, hat er nicht die geringste Ahnung, wie diese funktionierten. Er hätte zum Beispiel in William Robert Scott, The Constitution and Finance of English, Scottish and Irish Joint-Stock companies to 1720, Cambridge: at the University Press, 1912 nachschlagen können. Dort hätte er auf Seite 44 lesen können, dass das System der damaligen Aktiengesellschaften nicht mit dem heutigen vergleichbar ist (siehe Zitat in englischem Text „Oxford Frobisher Voyages").  Er hätte auch in The three Voyages of Martin Frobisher, herausgegeben vom Vizeadmiral Richard Collinson (siehe oben) nachschlagen können.  Doch dieses Werk hat er wohl nicht konsultiert. Aber die Calender of State Papers, Colonial Series, die hat er konsultiert. Und auch diesen hätte er entnehmen können, wie eine Aktiengesellschaft im 16. Jahrhundert funktionierte. Sie funktionierte so: A und B zahlen je £2000 ein, C und D je £3000, insgesamt £10 000; im Laufe der Unternehmung fallen Kosten an in Höhe von £1000 für Transport, Reparaturen, usw.; die Anteile von A, B, C und D werden proportional erhöht, die Anteile von A und B um 1/5 von £2000 auf £2200, die von C und D von £3000 auf £3300.  M.a.W: Edward de Veres Anfangsanteil von £3000 muss ein Jahr später erheblich angestiegen sein. Wenn davon nur noch £450 übrig blieben, so hat er einen sehr hohen Betrag zurückgezahlt, im Verhältnis mehr als viele andere, zum Beispiel, was Nelson auch hätte sehen können, als Schatzkanzler Lord Burghley, dessen anfänglicher Anteil £25 betrug und sich später verdoppelt hatte. Lord Burghley hat keinen einzigen Pfennig gezahlt. Die allerwenigsten hatten den vollen Betrag eingezahlt.

Für weitere Irrtümer, wohlgemerkt nur in diesem einen Kapitel 34, verweise ich auf die englischen Texte. Auf dem engen Raum von 3 Seiten gelingt es Nelson, etwa 20 mehr oder weniger große Böcke zu schießen.

Liegt das daran, dass sein Hauptanliegen war, möglichst viele Anschwärzungen Edward de Veres zu sammeln? Gewiss liegt es daran. Dieses Anliegen hat sein Erkenntnisinteresse gründlich aufgesogen und seine Erkenntnisfähigkeit sehr nahe dem Nullpunkt gedrückt. Um nur noch ein Beispiel, eines von wahrlich unzähligen, aus Kapitel 10 im Zusammenhang mit Oxfords Tötung des Dieners Thomas Brincknell. Nelson schreibt (S. 48), dass einer der Zeugen „der berühmtere Ralph (oder Raphael) Holinshed, ein "Protégé William Cecils" gewesen sei. Nelson meint Raphael Holinshed, unter dessen Namen die Chronicles 1577 und 1587 erscheinen würden. Doch hier hieß der Zeuge mit Vornamen nicht Raphael sondern Randolph und hatte nichts mit den Chronicles zu tun.

Allein das Bedürfnis, Oxford anzuschwärzen, wo nur möglich, kann es nicht gewesen sein. Denn Nelsons Erkenntnisfähigkeit sackt weiter als bis zum Nullpunkt. Überheblichkeit und akademische Eitelkeit tragen ein gerüttelt Maß zu dem wissenschaftlichen Debakel bei. Nelson hält sich für einen „professional". Er wagt sich allerdings auf Gebiete vor, die außerhalb seines Spezialbereichs liegen. Das ist lobenswert, wenn zugleich die Bereitschaft vorhanden ist, sich bei Fachleuten auf diesen Gebieten die Informationen und Kenntnisse zu holen. Diese Bereitschaft hat bei Nelson nicht zuletzt der primitive Klatschverbreitungsansatz völlig erstickt. Es bleibt ihm zur Festigung oder genauer: zur Zurschaustellung seiner Autorität nur die aufschneiderische Pose des „professional". Beim geringen Kenntnisstand und bei der mangelnden Bereitschaft, das fehlende Wissen zu erwerben, muss diese Pose zwangsläufig zur Posse metastasieren.

Das Ergebnis sind u. a. die weißen und roten Heringe.

Und doch hat Professor Nelson dem Oxfordianismus einen Dienst geleistet, der so groß ist wie das Unheil, mit dem er ihn heimzusuchen beabsichtigte. Er hat die Dokumente über Oxford zusammengetragen und erfüllte als Sammler wissenschaftliche Standards. Und in seinen Interpretationen hat er ein solches Maß an Unwissenschaftlichkeit demonstriert, dass kein ernsthafter Forscher sich auf diese berufen wollen wird.

© Robert Detobel

Abschließendes zu Dr.Pangloss

Nachtrag zu Dr. Pangloss