Frage 42

Welche psychologischen Impulse könnten hinter der Infragestellung von Shakespeares Verfasserschaft liegen?

[Anouchka Grose, Schriftstellerin und Psychoanalytikerin, die in London praktiziert, antwortet für  den SBT:]

Shakespeares Autorschaft zu bezweifeln könnte an der Art des Umgangs mit Neid und Konkurrenz liegen. Wenn also bedeutende Menschen im Grunde nicht so großartig sind, dann muss man sich im Vergleich zu ihnen nicht ganz so mickrig fühlen. Es ist ferner auch eine Tatsache, dass Verschwörungstheorien oft versuchen, rationale Erklärungen für Dinge zu geben, die einfach zu subtil oder irrational sind. Also, die berühmte Person, die in einem dummen Unfall ums Leben kam, muss von der CIA oder von wem auch immer getötet worden sein. So ist die Vorstellung, dass Shakespeare in der Lage war, so viele Dinge zu tun - so viel über die Welt zu wissen und über das innere Leben der Menschen, und das dann auch zu artikulieren, in strengem Reim und Metrum, in einem Werk von solch gewaltigem Umfang - macht ihn zu einer unheimliche Gestalt. Und es mag tröstlicher sein zu glauben, dass seine Werke von einer Gruppe von Schriftstellern (vielleicht auch von Männern und Frauen) geschrieben wurde oder dass er eigentlich nur ein paar der Stücke geschrieben hat.

Erwiderung:

Die richtige Antwort wäre, der zugrunde liegende "psychologische Impuls" seidie Suche nach Wahrheit; der gleiche "Impuls", der viele Menschen zu geistigen Anstrengungen führt. Grose gibt keinen Hinweis in ihren Kommentaren, dass sie diese sehr naheliegende Möglichkeit auch in Betracht zieht. Der Impuls des SBT scheint zu sein, die Suche nach Wahrheit zu unterdrücken und sich Anouchka Groses Mithilfe dabei zu bedienen, das Thema  als "Verschwörungstheorie" zu stigmatisieren.

Wenn man bedenkt, wer die „Erklärung" (Declaration of Reasonable Doubt) unterzeichnet hat, ist es schon seltsam, dass Zweiflern immer noch die Bezeichnung "Verschwörungstheoretiker" angehängt wird. Ein Blick auf die Unterzeichner-Liste entlarvt diese negative Stereotype: US Bundesrichter; Shakespeare-Schauspieler, mehr als 770 Akademiker, mehr als 380 gegenwärtige oder ehemaligen Hochschuldozenten, 347 Graduierte in englischer Literatur. Kann man sinnvollerweise annehmen, dass alle diese Leute gestörte Verschwörungstheoretiker sind? Was geht hier vor?

Einige Hintergrundinformationen können helfen. Seit Jahren hatte der SBT auf seiner Internetseite bis zum vergangenen April 2010 eine Seite zu "Shakespeares Autorschaft", auf der Folgendes geltend gemacht wurde:

„Das Phänomen des Zweifels an Shakespeares Autorschaft ist eine psychologische Verwirrung von erheblichem Gewicht. Die  Annahme der Autorschaft zugunsten von aristokratischen Kandidaten kann auf Snobismus zurückgeführt werden. - Die Abneigung zu glauben ..., die genialen Werke könnten nicht von einem Mann aus relativ bescheidener Herkunft  stammen - eine Haltung, nach der es nicht möglich wäre, dass Marlowe seine eigenen Werke geschrieben hat, von Shakespeares ganz zu schweigen. Andere Ursachen sind Unwissenheit, geringes Verständnis für Logik; Weigerung, vorsätzlich oder nicht, Evidenzen zu akzeptieren; Torheit; der Wunsch nach Publicity und auch nachweisbarer Wahnsinn (wie im traurigen Fall von Delia Bacon, die 1856 Shakespeares Grab öffnen wollte)."

Empört darüber, dass der SBT alle Zweifler als  „psychologisch verwirrt"  bezeichnet, ohne stichhaltige wissenschaftliche Nachweise - was bedeutet, dass alle Zweifler auf die eine oder andere Weise geistesgestört seien -, schickte die „Shakespeare Authorship Coalition" am 5. April 2010 einen Brief an den damaligen Präsidenten der SBT, Stanley Wells, lenkte dabei die Aufmerksamkeit auf den obigen Absatz und führte u. a. aus:

„Wenn diese Anschuldigungen wahr sind, sollte es qualifizierten Fachleuten aus der Psychiatrie, Psychologie und Soziologie möglich sein, Ihre Behauptungen mit empirischen Daten zu bestätigen. Ich fordere Sie hiermit auf, entweder solche Nachweise durch Experten beizubringen oder aber solche Behauptungen zu unterlassen. Insbesondere fordere ich Sie auf, entweder entsprechende Nachweise für Ihre Behauptungen auf der Website des SBT mit entsprechendem Material auf hohem wissenschaftlichem Standard zu veröffentlichen oder die Aussagen sofort zu entfernen."

Der vollständige Text des Briefes erscheint am Ende dieses Berichts als Anhang C. Die SAC hat keine Antwort erhalten, aber der SBT hat die Seite zur Autorschaftsfrage im vergangenen Frühjahr entfernt. Man könnte denken, dass der SBT daraus vielleicht gelernt hat und aufhört, solche unerträglichen Behauptungen zu erheben. Die Antwort des SBT auf Frage 44 über Delia Bacon ist ziemlich objektiv. Aber bedeutet dies einen Wandel des Sinns oder nur eine Änderung der Taktik?

Die wiederholten Hinweise auf die "Verschwörungstheorie zur Shakespeare-Autorschaft" seit Beginn dieser Kampagne zeigt, dass es nur eine Variation des alte Spiels ist: "Verleumde die Zweifler." Wenn sie nicht mehr wiederholen, wir seien "psychologisch verwirrt", weil es dabei objektive Kriterien geben müsste, werden sie sich etwas einfallen lassen, noch subjektiver und noch weiter von einem objektiven Maßstab entfernt.

Die Einbeziehung von Anouchka Grose, einer vereinzelten Psychoanalytikerin unter einer ansonsten auffallend homogene Gruppe von Anglistikprofessoren und Theaterleuten, lässt vermuten, dass sie ihre eigentlichen Absichten verdecken und zur Absicherung ihrer Behauptungen eine glaubwürdige Autorität im Fall von psychischen Erkrankungen vorzeigen wollten. Aber schaut man auf Groses Aussagen (wenn sie denn als eine Art von "Sachverständiger" angesehen werden kann) - wie glaubwürdig ist sie? Der SBT schreibt: „Schriftstellerin und Psychoanalytikerin, praktiziert in London". .... das klingt nach einem schwachen Versuch, um die Behauptung zu stützen, dass Zweifler Dummköpfe sind.

Sollen wir davon beeindruckt sein? Es wird keine akademische Position genannt. Es werden keine Fachgutachten in der Diagnostik psychischer Störungen oder psychologische Tests mit objektiven Methoden genannt, nicht einmal spezielle Kenntnisse im Themenbereich, den sie hier behandelt. Ihre Website und Ihre Bücher sagen - soweit wir sehen können - nichts über Verschwörungstheorien/Theoretiker. Es gibt auch keine Hinweise dafür, dass sie Kenntnisse zur Urheberschaftsrage hätte.

Wenn eine isolierter Psychoanalytikerin ihre subjektive Meinung über die "psychologischen Impuls", die hinter Befragung Autorschaft stehen, bekannt gibt und dann erwartet wird, diese ernst zu nehmen, erscheint uns das als bizarr: Als würde man einen einzelnen Schauspieler auffordern, Shakespeares Persönlichkeit darzustellen, oder einem einzigen indischen Journalist erlauben, für jedermann auf dem indischen Subkontinent zu sprechen. Und wir sollen diese methodisch unfähigen Leute ernst nehmen, wenn sie sagen, dass es "keinen Raum für Zweifel" an der Identität des William Shakespeare gäbe!

Das ist nicht nur eine Frage der Kompetenz, es gibt auch eine moralische Dimension. Der Brief an SBT-Chairman Stanley Wells von 5. April 2010 weist darauf hin:

"Sie bezeichnen alle, die Ihren Ansichten widersprechen, als "psychologisch unnormal". Sie nutzen die Vorurteile gegenüber psychisch Kranken aus, um Ihre Gegner zu diskreditieren. Eine solche Taktik ist moralisch verwerflich. Diejenigen, die auf so etwas zurückgreifen, sind unwürdig, als legitime Verwalter des Erbes von William Shakespeare zu gelten."

Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass Shakespeare, mehr als andere Schriftsteller, Charaktere schuf, die mit dem Wahnsinn ringen. Er stellte sie so realistisch und mitfühlend dar, dass man behaupten kann, er habe ihre Krankheiten aus unmittelbarer Erfahrung verstehen können. Hamlet, Ophelia, Titus, Timon, König Lear, Edgar bzw. Tom O 'Bedlam sind hier zu nennen. Diejenigen, die sich selbst zu Hütern des Erbes von Shakespeare erklären, scheuen sich aber nicht, die Stigmatisierung psychisch Kranker als Waffe gegen ihre Gegner zu verwenden.

An diejenigen im SBT, die für die Behauptungen verantwortlich sind, ein Zweifeln an Shakespeares Autorschaft beruhe auf einer "psychologischen Verwirrung", Zweifler seien unwissende Snobs, seien Publicity-süchtig, hätten kein Verständnis für Logik, weigerten sich, Evidentes anzuerkennen, seien nachweisbar verrückt, wären Anti-Shakespeareaner, geistige Diebe, Verschwörungstheoretiker und verfolgten eine verwerfliche, hinterhältige Absicht, möchten wir diese Frage richten.

SAC Frage 1:

Warum weigern Sie sich angesichts von so vielen vernünftigen Gründen für Zweifel und so vieler sehr angesehener Leute, die diese Gründe anerkennen, alle Alternativen zu prüfen, und antworten stattdessen mit abgenutzten Klischees, billigen Beschimpfungen, Trivial-Psychoanalyse und ad hominem Angriffen?

Die Antwort ist, dass Sie sowohl eine quasi-religiöse Orthodoxie als auch ein sattes Leben zu verteidigen haben. Wenn sie Zweifel - unabhängig von der Aussagekraft - überhaupt erlauben würden, wären sowohl ihr reichliches Einkommen als auch ihre Glaubensinhalte bedroht, mit denen sie sich persönlich identifiziert haben. Wenn Sie so leichtfertig Zweifler des Snobismus und elternmörderischer Tendenzen beschuldigen, können wir ihnen vorwerfen, autoritäre Persönlichkeiten und/oder Heuchler zu sein.

In Wahrheit haben Sie Angst vor der Forschungen der Zweifler, deren Ergebnisse sie kaum lesen, und sie meinen weiterhin, es würde ausreichen, sich über Delia Bacons Gebrechen und J. Thomas Looneys Namen lustig zu machen als Ersatz für Ehrlichkeit und wissenschaftlicher Integrität. Fragen an den SBT zu richten, die Urheberschaftsfrage ehrlich zu untersuchen, käme einer Frage an das Kardinalskollegium gleich, die Auferstehung ehrlich zu prüfen. Die Frage ist für Sie seit langem erledigt, und wie alle guten Autoritären ziehen Sie es vor, dass es dabei bleibt.

- John M. Shahan, M.S.P.H., Vorsitzender and CEO, Shakespeare Authorship Coalition
- Robin Fox, Ph.D., D.Sc., Universitätsprofessor für Sozialwisssenschaft, Rutgers University
- Jan Scheffer, M.D., Psychiater and Psychoanalytiker, Utrecht, Niederlande
- Richard Waugaman, M.D., Klinischer Professor für Psychiatrie, Georgetown University

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