Frage 43

Welche Rolle spielt James Wilmot in der Geschichte der Verfasserschaftsfrage?

[Stanley Wells, ehrenamtlicher Präsident des Shakespeare Birthplace Trust, emeritierter Professor der University of Birmingham, Verfasser zahlreicher Werke über Shakespeare und Herausgeber der Oxford- und Penguin-Reihen von Shakespeares Werken, Antworten für den SBT.]

James Wilmot war ein Geistlicher aus Warwickshire, der von 1726 bis 1807 lebte. In der Bibliothek vom Senate House Library der Universität London befindet sich ein Manuskript, das zwei Vorträge zu enthalten scheint, die ein gewisser James Corton Cowell 1805 vor der Ipswich Philosophical [sic] Society gehalten haben soll. Diesem Manuskript zufolge hätte Wilmot mit einer Shakespeare-Biographie angefangen, aber war, da er wenig Beweise finden konnte, zu dem Schluss gelangt, dass die Werke von Francis Bacon geschrieben sein müssten - womit Wilmot der erste Anti-Stratfordianer der Geschichte wäre. Aber die Authentizität des Manuskripts ist neulich in Frage gestellt worden. Es sind keine Belege dafür zu finden, dass eine Person namens Cowell oder eine Ipswich Philosophical Society je existiert hätte.

In seinem 2010 erschienen Buch Contested Will  konnte James Shapiro überzeugend nachweisen, dass es sich bei dem Manuskript um eine wahrscheinlich aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert stammende Fälschung handeln muss. Und somit steht jetzt fest, dass die Geschichte der Zweifel an der Verfasserschaft Shakespeares nicht Ende des achtzehnten Jahrhunderts, sondern, wie vorher angenommen, gut fünfzig Jahre später mit Delia Bacon beginnt.

Erwiderung:

Die Antwort lautet, dass die James-Wilmot-Episode kein Licht auf den Ursprung der Zweifel an der Verfasserschaftsfrage wirft. Der erste, der das Manuskript in der Bibliothek des Senate House der Londoner Universität prüfte, war allerdings nicht Professor James Shapiro oder irgendein anderer orthodoxer Shakespeare-Forscher, sondern vielmehr der prominente Zweifler und Forscher Dr. John Rollett, der in Ipswich wohnt. Es war Rollett, der 2002 feststellte, dass es überhaupt keine Belege dafür gibt, dass eine Ipswich Philosophic [recte] Society oder ein gewisser James Corton Cowell je existiert hat. Gebildete Angehörige des Mittelstandes - wie Cowell gewesen zu sein erachtet wurde - hinterließen zahlreiche bis heute aufbewahrte Dokumente: Geburt und Tod, Heirat, Stimmlisten, Eigentumsübereignungen, Rechtsstreite, Zeitungsberichte, Testamente. Nach unzähligen Forschungsstunden in dem Suffolk Record Office konnte Dr. Rollett rein gar nichts auffinden. Daraufhin fragte er einen angesehenen örtlichen Historiker (und ehemaligen Präsidenten des Antiquarverbandes), der Sache nachzugehen. Auch dieser Historiker fand keinerlei Spuren.

Rollett verfolgte die Sache weiter und bezog Dr. Dan Wright, Direktor des Shakespeare Authorship Research Centre an der Concordia University in Portland, Oregon, Dr. Daniel Mackay, und Dr. Alan Nelson, einen bewährten Handschriftsexperten an der Englischfakultät der U.C., Berkeley, mit ein. Professor Nelson, ein orthodoxer Forscher, versicherte sich seinerseits der Mitarbeit zweier weiterer Urkundenexperten zur Begutachtung des angeblichen Vortrages von James Wilmot. Konsens wurde darüber erzielt, dass es sich bei diesem Dokument entweder um eine spätere Kopie eines authentischen Manuskripts oder eine späere Fälschung handelte. Da aber in den örtlichen Archiven nicht die geringste Spur  eines James Corton Cowell zu finden war, sprach vieles für eine Fälschung.

Bei einer Konferenz im April 2003 berichtete Professor Wright über den Stand der Dinge und kam zu dem Schluss, dass es sich um eine Fälschung von Baconianern handeln müsse. Sein Vortrag wurde aufgearbeitet und in Shakespeare Matters (Vol. 2, no. 4; Sommer 2003) veröffentlicht. Professor Shapiro verweist auf diesen Bericht auf Seite 284 seines Buches Contested Will (2010), aber seine Behauptung auf Seite 12, es wäre „seine" Entdeckung, dass es sich um eine Fälschung handelt, entspricht nicht den Tatsachen. Shapiro unterschlägt, dass die Schlussfolgerung, es handele sich um eine Fälschung, bereits sieben Jahre vorher in Druck erschienen war. Es wäre nur recht und billig, wenn Professor Shapiro Dr. Rolletts Verdienst anerkennen würde, der erste gewesen zu sein, der die Echtheit des Manuskripts in Zweifel gezogen hat, und weiter anzuerkennen, dass es der Entschlossenheit von Dr. Rollett und Professor Wright zu verdanken ist, eine formelle wissenschaftliche Untersuchung zur Authentizität und Herkunft eingeleitet zu haben, bevor irgendeinem orthodoxen Forscher das Problem bewusst geworden war.

Ohnehin wurde Shakespeares Verfasserschaft zum ersten Mal von Zeitgenossen bezweifelt (siehe Frage 40).

- Daniel L. Wright, Ph.D., Professor für Englisch; Direktor des  Shakespeare Authorship Research Centre, Concordia University, Portland, Oregon. 

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