Was ist Ihr Eindruck als Schauspieler von Shakespeares Persönlichkeit?
[Simon Callow, Schauspieler und Schriftsteller und Darsteller in dem Ein-Personen-Stück „Being Shakespeare", antwortet für den SBT:]
Man erhält als Schauspieler eine sehr klare Vorstellung von der Persönlichkeit eines Autors, und die von Shakespeare ist
vor allem offen - offen und empfangend, anstatt urteilend oder kontrollierend.
Er lässt seinen Figuren ihr eigenes Leben, und er beobachtet das menschliche Leben mit absoluter Klarheit und auch mit Mitleid.
Es ist genau das gegenteilige Gefühl, das man bekommt, wenn man zum
Beispiel Stücke von Ben Jonson spielt, bei dem man den Eindruck
gewinnt, dass er alles kontrollieren, alles beurteilen,
alles verurteilen will: eine harte, unbeherrschten Persönlichkeit. Shakespeare ist nichts Menschliches fremd, er
erfährt alles und verzeiht alles. Man hat das Gefühl einer außerordentlichen
Warmherzigkeit und Großzügigkeit.
Erwiderung:
Die SBT kritisiert
oft die Zweifler, die in den Werken nach
Hinweisen auf die Identität des Autors suchen. Es
ist sehr merkwürdig, dass er hier
einen Schauspieler nach seinem "Sinn"
für die Persönlichkeit des Verfassers fragt.
Kann dieser anders antworten als in Bezug darauf, wie er
den Autor in den Werken
gespiegelt findet? Es ist selbstverständlich angebracht, in den Werken nach dem Autor zu suchen, sonst würde
eine solche Frage nicht gestellt.
Callows subjektive Antwort ist so weit sehr
schön, aber es ist nicht die
einzige mögliche Antwort und nicht unbedingt die maßgebliche und aufschlussreichste. Schauspieler, die mehr Erfahrung damit haben, Shakespeare zu
spielen, wie Derek Jacobi oder Mark
Rylance, sehen ihn vielleicht anders. Um eine wissenschaftliche,
methodisch richtige Antwort zu erhalten, wäre eine Studie erforderlich mit sorgfältig ausgewählten Schauspielern und
Wissenschaftlern und mit gut überlegten Fragen. Leider scheint der SBT daran überhaupt nicht interessiert zu sein. Er weiß bereits, wie die Antwort ausfallen soll,
die für den gegenwärtigen Zweck gebraucht wird.
Es wäre in
der Tat sehr interessant, eine solche Studie durchzuführen, um zu sehen, welches Licht durch die Werke, die er schrieb, auf
die Person geworfen wird. Möglicherweise würde sich sogar eine
Unterstützung für den Mann aus Stratford ergeben, weil wir fast nichts über seine Persönlichkeit wissen.
- John Christian Plummer, Artistic Director des „World's End Theatre" Regisseur verschiedener Produktionen von „Was ihr wollt" aufgeführt in der PBS-Dokumentation „Shakespeare on the Hudson".