Frage 22

Was ist Ihr Eindruck als Schauspieler von Shakespeares Persönlichkeit?

[Simon Callow, Schauspieler und Schriftsteller und Darsteller in dem Ein-Personen-Stück „Being Shakespeare", antwortet für den SBT:]

Man erhält als Schauspieler eine sehr klare Vorstellung von der Persönlichkeit eines Autors, und die von Shakespeare ist vor allem offen - offen und empfangend, anstatt urteilend oder kontrollierend. Er lässt seinen Figuren ihr eigenes Leben, und er beobachtet das menschliche Leben mit absoluter Klarheit und auch mit Mitleid.
Es ist genau das gegenteilige Gefühl, das man bekommt, wenn man zum Beispiel Stücke von Ben Jonson spielt, bei dem man den Eindruck gewinnt, dass er alles kontrollieren, alles beurteilen, alles verurteilen will: eine harte, unbeherrschten Persönlichkeit. Shakespeare ist nichts Menschliches fremd, er erfährt alles und verzeiht alles. Man hat das Gefühl einer außerordentlichen Warmherzigkeit und Großzügigkeit.

Erwiderung:

Die SBT kritisiert oft die Zweifler, die in den Werken nach Hinweisen auf die Identität des Autors suchen. Es ist sehr merkwürdig, dass er hier einen Schauspieler nach seinem "Sinn" für die Persönlichkeit des Verfassers fragt. Kann dieser anders antworten als in Bezug darauf, wie er den Autor in den Werken gespiegelt findet? Es ist selbstverständlich angebracht, in den Werken nach dem Autor zu suchen, sonst würde eine solche Frage nicht gestellt.


Callows subjektive Antwort ist so weit sehr schön, aber es ist nicht die einzige mögliche Antwort und nicht unbedingt die maßgebliche und aufschlussreichste. Schauspieler, die mehr Erfahrung damit haben, Shakespeare zu spielen, wie Derek Jacobi oder Mark Rylance, sehen ihn vielleicht anders. Um eine wissenschaftliche, methodisch richtige Antwort zu erhalten, wäre eine Studie erforderlich mit sorgfältig ausgewählten Schauspielern und Wissenschaftlern und mit gut überlegten Fragen. Leider scheint der SBT daran überhaupt nicht interessiert zu sein. Er weiß bereits, wie die Antwort ausfallen soll, die für den gegenwärtigen Zweck gebraucht wird.


Es wäre in der Tat sehr interessant, eine solche Studie durchzuführen, um zu sehen, welches Licht durch die Werke, die er schrieb, auf die Person geworfen wird. Möglicherweise würde sich sogar eine Unterstützung für den Mann aus Stratford ergeben, weil wir fast nichts über seine Persönlichkeit wissen.

- John Christian Plummer, Artistic Director  des „World's End Theatre" Regisseur verschiedener Produktionen von „Was ihr wollt" aufgeführt in der PBS-Dokumentation „Shakespeare on the Hudson".

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