Wie reagieren Sie als Schauspieler und Regisseur auf die Shakespeare-Verfasserschafts-Verschwörungs-Theorie?
[Janet Suzman, besonders
in den Klassikern geschult. Sie sieht Shakespeare als modernen Dramatiker an (vergl. ihre Produktion
von „Othello" in Südafrika der Apartheid), antwortet für den SBT:]
Ich frage mich, warum Leute meinen, man müsse etwas persönlich erfahren haben, um darüber schreiben zu können. Autoren arbeiten so nicht. Man muss kein König
gewesen sein, um einen König zu spielen. Wenn wir von
Schauspielern nicht erwarten,
dass sie das gewesen sein müssen, was sie zu spielen haben, wieso dann von einem Dichter? Es hat keinen
Sinn.
Er ist ein Surrealist oder auch ein Super-Realist, seine Figuren, seine Gedanken, seine Anschauungen über die Menschheit sind sehr viel größer als das Leben selber. Es mag das alles wahr sein, aber es ist kein dokumentarischer
Realismus. Dokumentarischer Realismus hat nichts mit diesem Dichter zu tun.
Er ragt weit aus dieser Ebene heraus.
Er schreibt sehr viel über Schein und Wirklichkeit - das sollten wir in Betracht
ziehen, wenn jemand denkt, dass er das nicht hätte schreiben können.
Und dann verstehe ich nicht, warum
die Leute in der
Zeit nicht getratscht haben
sollten. Klatsch gehört zur
menschlichen Natur.
Erwiderung:
Autoren schreiben aus ihrer Fantasie, aber ihre Vorstellungen müssen auf
ihren Erfahrungen beruhen. Eugene
O'Neill, Tennessee Williams,
Ibsen, Strindberg, Aphra Behn, Ben Jonson und Geoffrey Chaucer (um nur einige
Beispiele zu nennen) stützten sich auf
ihre Lebenserfahrungen. Shakespeares
Dramen offenbaren ein Wissen aus
erster Hand über den Hof, über Politik, militärische Taktik, Seefahrt und Auslandsreisen,
was auf einen Autor hindeutet, der sehr wenig dem Mann aus
Stratford ähnelt.
Ein Dramatiker braucht
nicht ein König, eine Königin, ein Höfling, Soldat
oder Matrose gewesen zu sein, um über sie zu schreiben zu
können, aber die erfolgreichsten Beschreibungen beruhen
auf genauer Beobachtung. Schauspieler müssen nichts
über den Dramatiker wissen, aber die Charaktere und andere komplexe Aspekte lassen sich leichter ausdrücken bei
Kenntnis der Biografie des Dramatikers. Das Wissen, dass der Autor in der Nähe von Königen und Königinnen gelebt hat, dass er in Italien war und sich lange in Venedig
aufhielt, verbindet die Phantasie des Schauspielers mit lebensechten
Realitäten.
Shakespeares "Super-Realismus"
ist wirkungsvoll, weil der Dichter
nicht von der
Wirklichkeit getrennt war.
Seine beredten Darstellungen stammen aus einer tiefen Erfahrung des Lebens, die dadurch eine große
Höhe gewinnen.
Jemand klatscht mit seinesgleichen.
Der junge S h a k s p e r e , gerade aus Warwickshire angekommen,
müsste als Aufsteiger außergewöhnlich erfolgreich gewesen sein, um durch Klatsch an die Insider-Informationen gekommen zu sein, die in bestimmten relativ frühen Spielen wie Verlorene Liebesmüh ' oder Ein Sommernachtstraum zu finden sind. Nur jemand, der in die höfische Welt eintauchen konnte - bloßer Klatsch reicht nicht aus -, kann der wahre Autor von Stücken
wie diesen sein, so phantasievoll wie sie auch sein mögen.
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Kristin Linklater, Professur
für Theatre Arts an
der Columbia
University School of the Arts