Frage 45

Ist es plausibel, dass Sir Francis Bacon die Shakespeare zugeschriebenen Stücke schrieb?

[Alan Stewart, Professor für Englisch und Vergleichende Literatur an der Columbia University und International Director of the Centre for Editing Lives and Letters in London, antwortet für den SBT.]

Francis Bacon war früher einer der führenden Kandidaten bei der Jagd nach dem Mann, der Shakespeares Stücke geschrieben haben könnte. Er eignet sich in mancher Hinsicht. Die Daten passen recht gut. Er wurde 1561 geboren, drei Jahre vor Shakespeare, und er lebte bis 1626, lange genug, um drei Jahr vorher den Druck der ersten Folioausgabe zu beaufsichtigen. Noch wichtiger ist, dass er das intellektuelle Format und den Ehrgeiz für jene Stücke mitbrachte. Er schrieb einmal, dass Wissen seine Heimat sei, und war auf vielen Feldern erfolgreich tätig: als Hofmann, Politiker, Rechtsgelehrter, Essayist, Naturphilosoph - er kann wahrhaft als Vater der modernen Wissenschaft gelten.

Aber er konnte kein Theaterstück schreiben. Wir wissen dies, weil er einige Stücke für den Hof zur Unterhaltung geschrieben hat: sehr statisch und mit Typen statt Charakteren; es handelt sich um stereotype Darstellungen des Glückes, ein Eremit, ein Soldat, ein Sekretär.: keine dramatische Handlung eines Charakters, keine Nuance eines Konfliktes, wie wir es in einem Shakespeare-Stück erwarten würden. Kurzum, Bacon besaß kein Talent fürs Drama.

Erwiderung:

Wie Professor Stuart zugibt, eignet sich Bacon als Shakespeare in vieler Hinsicht. Doch im Gegensatz zu dem, was er sagt, war Bacon sehr wohl im Stande, ein Stück zu schreiben, was bei seinem Tod 1626 von vielen Zeitgenossen bezeugt ist. Er wurde als bester Dichter seiner Zeit, der allerdings im Verborgenen wirkte, gelobt - als der Apollo seiner Zeit, Führer der Musen, der die Philosophie unter Benutzung des „soccus" (in der griechischen Antike der niedrige Schuh der Komödianten) und des Kothurns erneuerte - Stücke, die in ausreichender Qualität und Quantität vorhanden waren, um diese Wirkung zu erzielen.

Nicht nur andere verwiesen auf ihn als „verborgenen Dichter", sondern auch er selbst. Sein Freund Toby Matthew schrieb von ihm, dass er in England und im Ausland unter einem anderen Namen bekannt sei.

Außer für die Bühne organisierte, schrieb und produzierte Bacon auch Maskenspiele und sonstige Lustbarkeiten, einschließlich Stücke für die Anwaltsinnungen und den Hof. Er schrieb szenische Einlagen und Reden für Adlige, die an den Hoflustbarkeiten mitwirkten.

Unter Jakob I. war er die „treibende Kraft " bei der Aufführung des gemeinsam mit Francis Beaumont zur Begehung der Heirat der Prinzessin Elizabeth mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz geschriebenen The Marriage of the Thames and Rhine. Bacon entwarf, organisierte und finanzierte das Maskenspiel The Masque of Flowers für die Heirat von Jakobs I. Günstling Robert Carr, Earl of Somerset, mit  Lady Francis Howard, Tochter des Earl Earl of Suffolk, der zu diesem Zeitpunkt Lordkämmerer war.

1594 war Bacon stellvertretender Schatzmeister der Anwaltsinnung Gray's Inn und verantwortlich für die Durchführung der besonders prunkvollen Weihnachtsfestspiele: The Prince of Purpoole and the Honourable Order of the Knights of the Helmet. Während dieser Festspiele wurde zum ersten Mal die Komödie der Irrungen aufgeführt. geschrieben und gespielt von Studenten, was üblich war.

1597-8 deuteten John Marston und Joseph Hall in einem satirischen Schlagabtausch auf Bacon als Verfasser zweier epischer Gedichte Venus and Adonis und The Rape of Lucrece. Sie nannten ihn „Labeo", der einen anderen Namen verwendete, um seine Verfasserschaft zu verbergen; er wurde mit dem Motto „Mediocra firma" assoziiert, dem heraldischen Motto der Brüder Francis und Anthony Bacon. Aber nur Francis war ein Anwalt, der die Gunst der Königin verlor, so wie Antistus Labeo, ein römischer Anwalt, die Gunst des römischen Kaisers verloren hatte.

Es ist weitaus wahrscheinlicher, dass der brillante und hochgebildete Sir Francis Bacon die Stücke geschrieben hat als der semi-analphabetische Händler, der außer sechs stümperhaft geschriebenen Unterschriften nichts Handschriftliches hinterließ, außer einem Testament , das keinen einzigen Hinweis auf eine schriftstellerische Tätigkeit enthält.

- Peter Dawkins, M.A., Leiter des Francis Bacon Research Trust; Kurator des Shakespearean Authorship Trust

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