Frage 46

Stimmen Sie mit Mark Twain darin überein, dass man nur auf der Grundlage eigener Erfahrungen schreiben kann?

[Jay Halio, emiritierter Professor Emeritus der University of Delaware mit zahlreichen Veröffentlichungen zu Shakespeare antwortet für den SBT.]

Twain mag Recht haben, doch nur bis zu einem gewissen Punkt. Merkwürdigerweise vergisst er, die Einbildungskraft in Rechnung zu stellen. Wie anders als aus der Einbildungskraft heraus hätte Jonathan Swift zum Beispiel über Gullivers Reisen nach Lilliput oder die Reise nach Hounyhms schreiben können? Einbildungskraft ist das herausragende Merkmal des menschlichen Geistes. Betrachten wir auch Shakespeares Zeitgenossen: Edmund Spenser und The Faerie Queen, Marlowes Faustus und Tamburlaine. Wie anders als durch Einbildungskraft hätten sie diese Werke erschaffen können? Shakespeares Einbildungskraft trug ihn überall hin, durch Zeit und Raum, und darin hat ihn niemand übertroffen.

Erwiderung:

Was Mark Twain wirklich sagte, ist, dass es eine gewisse Kenntnis eines Themas voraussetzt, wenn man darüber schreibt, und die meisten Schriftsteller über das schreiben, was ihnen real begegnet ist.

Professor Halio spricht von der „Autonomie der Einbildungskraft" und sagt, dass Shakespeares „Einbildungskraft ihn überall hin trug". Überall hin? Demnach bräuchte Bildung nicht erworben zu werden, man bräuchte sie ja nur „einzubilden"! Twain hob „die stupende Vertrautheit des Barden mit den Gesetzen, den Gerichten, den Gerichtsverfahren, der Rechtsterminologie und dem Handel und Wandel der Anwälte..." hervor. Er behauptete, dass die aus den Bühnenstücken offenkundig werdenden Rechtskenntnisse eine praktische Erfahrung bedingen, die mit ihrem angeblichen Verfasser nicht in Einklang zu bringen sind. Wie kann sich ein Autor Rechtskenntnisse durch „ Einbildungskraft" aneignen?

Außerdem sind Breite und Tiefe der Kenntnisse auf vielen Gebieten bestaunenswert. Dazu existieren vielerorts lange Aufzählungen, so etwa in der Declaration of Reasonable Doubt wie auch an etlichen Stellen innerhalb dieser Widerlegungen. Ist es glaubwürdig, davon auszugehen, dass alle diese Kenntnisse durch bloße Einbildung erworben würden?

„Einbildungskraft" und „Genie" sind Mystifikationen zur Stützung eines Kartenhäuschens, das auf dem Fundament beruht, dass Shakespeares Werke von jemandem geschrieben sein könnten, der keine Spur seines literarischen Wirkens hinterlassen hat. Es existieren keine Stücke, Gedichte, Briefe oder Tagebuchnotizen in der Handschrift des angeblichen Verfassers. Twain sagte, dass der Stratford-Mythos auf „Glauben, Mutmaßungen, Theorien und Spekulationen beruht - ein Eiffelturm aus Artefakten, der sich über ein sehr flaches und dünnes Fundament aus belanglosen Tatsachen über die Wolken erhebt."  

- Keir Cutler, Ph. D. (Doktor der Theaterwissenschaften), Schauspieler, Stückeschreiber, Ein-Mann-Darbieter eines Schaustückes auf der Grundlage von Mark Twains Buch: Is Shakespeare Dead?

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