Frage 34

Die 1623 erschienene Folioausgabe enthält zahlreiche Lobgedichte auf Shakespeare. Stärken diese Lobgedichte das Arrgument für Shakespeares Verfasserschaft?

[Ewan Fernie, Professor of Shakespeare Studies am Shakespeare Institute, University of Birmingham, Stratford-upon-Avon, antwortet für den SBT]

Die Lobverse auf Shakespeare in der Folioausgabe von 1623 könnten kaum eindeutiger auf den Mann hinter den Stücken und überhaupt dem ganzen Werk hinweisen.
Ben Jonson beginnt mit einem Kommentar zu dem Kupferstich, der auf der gegenüberliegenden Seite Shakespeare abzubilden erachtet wird: Eine bessere Ähnlichkeit, so Jonson, erhalte man, wenn man nicht das Bildnis betrachtet, sondern den regen Geist in seinen Werken.
In ihrem „Brief an die große Vielfalt der Leser" betonen Shakespeares Schauspielerkollegen Heminges und Condell die Sorgfalt und die Mühen, die sie daran gesetzt haben, Shakespeares Schriften der Welt dergestalt bekannt zu machen, „wie er selbst sie sich vorgestellt hat". Und auch sie sehen Shakespeares Werk als einen Sieg über den Tod.
Der Trost und die Freude Jonsons in seinem etwas redseliges Gedicht zum Gedenken an den „geliebten Verfasser" ersprießen aus dem Nachleben, das seinem Freund, der „eine Lanze auf die Augen der Unwissenheit" richtet, in Druck zuteil wird.
„Eine Lanze schütteln" ist selbstverständlich ein Wortspiel auf den Namen Shakespeare. Indem er von „den Augen der Unwissenheit" spricht, zielt Ben Jonson unwissentlich auf diejenigen, die sich unterstehen, seine Verfasserschaft anzuzweifeln.

Erwiderung

Die Lobverse in der ersten Folioausgabe zeigen nicht eindeutig auf den Mann, den Fernie als den Dramatiker ansieht. Wie so oft in elisabethanischer und jakobitischer Zeit sind Äußerungen zu Autoren zweideutig und nicht ohne weiteres als bare Münze zu nehmen. Ben Jonson war ein „Meister" der Zweideutigkeit, stellen Annabel Patterson, Yale University, und Leah Marcus, Vanderbilt University in Nashville, zwei anerkannte Forscher über die englische Renaissance, ebenso fest wie David Riggs, Stanford, Verfasser einer Biografie Ben Jonsons.
Selbst die Referenzen auf „Stratford" und „Avon" sind voneinander getrennt. Und diese beiden flüchtigen Referenzen, die erstere von Leonard Digges, letztere von Ben Jonson, sind als Identifkationsmerkmale unzureichend. Weder ein Geburts- noch ein Todesjahr ist angegeben, auch nicht ein Hinweis auf seine nächsten Angehörigen oder irgendein Identifizierung stiftendes Ereignis aus seinem Leben. Was über Shakespeare gesagt wird, sind allgemeine Lobeshymnen auf das Werk; über den Mann selbst erfährt man nichts. Ein Vierteljahrhundert später wird Nicholas Rowe, der erste Biograph (1709) Jonsons Empfehlung wiederholen, nachdem er in Stratford-on-Avon nichts Werkrelevantes über den Mann selbst hatte erfahren können: „Die Persönlichkeit des Mannes erschließt sich am besten aus dem Werk". Und wenn die erste Folioausgabe nicht mehr hätte tun können, wieso erscheint darin denn Shakespeares Wappen nicht, auf das er so stolz war?
Ewan Fernies Behauptung, dass die erste Folioausgabe „nicht mehr tun konnte", wird dadurch widerlegt, dass auf Shakespeares Heimatstadt nur in zwei voneinander getrennten Angaben Bezug genommen wird, die man erst zusammenbringen muss: „Sweet swan of Avon" und „wenn die Zeit dein Stratford-Monument aufgelöst haben wird". Welcher Fluß Avon - es gibt in England zahlreiche Flüsse dieses Namens, in erster Linie der Avon, der durch Wiltshire fließt und der von den beiden Dichtern Samuel Daniel und Michael Drayton mit Dichtkunst assoziiert wird, wie es auch das Wort „swan" suggeriert - hier gemeint ist, wird nicht deutlich. Wenn es sich beide Male wirklich um Stratford-upon-Avon handelte, warum wurde das nicht explizit gesagt?

- Richard Whalen, ehemaliger Präsident der Shakespeare Oxford Society; Verfasser zahlreicher Artikel und Buchbesprechungen während der letzten zwei Jahrzehnte.

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