Weshalb „zweifelte" Henry James an Shakespeares Verfasserschaft?
[Adrian Poole, Professor für englische Literatur an der University of Cambridge, antwortet für den SBT.]
Henry James erklärte einem Freund, dass „es für ihn fast genauso unmöglich ist, sich vorzustellen, dass Bacon die Stücke geschrieben hat, als dass Shakespeare aus Stratford sie geschrieben hat". „Fast genauso", aber nicht „nicht ganz genauso". Schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts war schon viel über den Mann aus Stratford bekannt geworden. Die romantische Vorstellung eines überragenden Genies prallte mit dem Bild des starrköpfigen Geschäftsmannes zusammen, das sich aus den frenetischen empirischen Forschungen der Viktorianer immer deutlicher herauskristallisierte. Wie konnte derselbe Mann, der den Hamlet geschrieben hat, einen Stratforder Nachbarn für einen geringfügigen Schuldbetrag gerichtlich belangen? Henry James gestand, dass er schockiert sei; aber er war zugleich fasziniert. Deshalb beschrieb er gegen Ende seines Lebens den Verfasser vom Sturm als „Ungeheuer und Magier mit den tausend Masken".
Erwiderung:
Weshalb hegte James Zweifel? Aus dem gleichen Grund wie Freud und soviele andere vor ihm: Der Mann aus Straford passt einfach nicht! Pooles durchsichtiger Versuch, Henry James' Ansichten auf ein Mindestmaß zu relativieren, erwähnt James' inzwischen berühmtes Wort nicht: „Es spukt förmlich die Überzeugung in mir, dass der göttliche William die erfolgreichste Täuschung ist, der eine geduldigen Welt je aufgesessen ist. Je mehr ich es hin und her wende, desto mehr kommt es mir so vor". "I am a sort of haunted by the conviction that the divine William is the biggest and most successful fraud ever practiced on a patient world. The more I turn him around and round the more he so affects me." James brachte es auf den Punkt, Poole dagegen versucht, der Frage auszuweichen.
- Ren Draya, Ph.D., Professor für britische und amerikanische Literatur; Inhaber des Lehrstuhls für Englisch und Kommunikation, Blackburn College, Carlinville, Illinois