Frage 54

Was ist die Haltung der etablierten Shakespeareforschung gegenüber der Verfasserschaftsdebatte?

[Peter Holland, McMeel Family Professor in Shakespeare Studies in the Department of Film, Television and Theatre, und assoziierter Dekan für Künste an der University of Notre Dame, Notre Dame, Indiana, USA, anwortet für den SBT.]

Lange Zeit haben Shakespeare-Forscher die Verfasserschaftskontroverse ignoriert als ein abstruses marginales Phänomen. Verständlicherweise, denn die Befürworter anderer Kandidaten entfalten ihre Argumente nicht gemäß den auf vielen anderen Feldern akademischer Studien (Geschichte, Biographie, Textanalysen und so weiter) geltenden wissenschaftlichen Standards. Es war und bleibt eine frustierende Beschäftigung, mit Anti-Stratfordianern die Einzelheiten ihrer Sichtweise zu diskutieren, weil der Art ihrer Beweisführung - Hypothesen, die sich auf Spekulationen stapeln, auf Verschwörungstheorien aufbauen oder aus Geheimcodes ergeben - mit logischer Argumentation nicht beizukommen ist.

Aber diejenigen von uns, die sich dafür interessieren, wie sich Volksmeinungen (Elvis Presley lebt, Barack Obama wurde nicht in den USA geboren, usw.)  verbreiten, fasziniert die Frage, wieso Leute dazu kommen zu glauben, Shakespeare könnte Shakespeares Werke nicht geschrieben haben. Die merkwürdige Leidenschaft, die solche Theorien beseelt, ist ein starkes Indiz für das Sehnen unserer Gesellschaft nach einem Glauben.

Erwiderung:

Einen Stratfordianer nach der Haltung der etablierten Shakespeareforscher in der Verfasserschaftsfrage zu fragen ist, als wenn man einen Priester nach der Haltung des Papstes gegenüber dem Atheismus fragen würde. Peter Holland irrt, wenn er behauptet, die Zweifler an der herkömmlichen Verfasserschaftszuweisung würden ihre Argumente nicht „gemäß den auf vielen anderen Feldern akademischer Studien geltenden wissenschaftlichen Standards" entfalten. In Wahrheit kommt ein wesentlicher Teil dieser Zweifler gerade aus solchen Bereichen, einschließlich der Englischabteilungen. Dies kann man einfach verifizieren, indem man die Webseite der Shakespeare Authorship Coalition besucht und den beruflichen Werdegang der Unterzeichner der Declaration betrachtet. Die Qualifikation vieler Unterzeichner der Declaration ist genauso eindrucksvoll wie die der 60 Antwortgeber für den SBT.

- A. J. (Tony) Pointon, emeritierter Professor, ehemaliger Forschungsdirektor an der University of Portsmouth, England; Autor von:  The Man who was Never Shakespeare, Parapress, 2011.

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