Frage 36

Ist das Fehlen von Büchern in Shakespeares Testament verdächtig?

[Diana Owen, Direktorin von The Shakespeare Birthplace Trust, antwortet für den SBT]

Bücher wurden in Testamenten nicht oft erwähnt; sie könnten u. U. im Inventar erwähnt worden sein. Leider ist der Inventar von Shakespeares Besitzungen verschollen. Jene Güter, die nicht als Schenkung im Testament erscheinen, wurden von seiner Tochter Susannah und seinem Schwiegersohn John Hall geerbt; 1635 vermachte John Hall das, was er als „Studie von Büchern" bezeichnet, seinem Schwiegersohn Thomas Nashe, um „damit nach Gutdünken zu verfahren".
1637 wurde im Rahmen eines Rechtsstreites in das Studierzimmer von New Place (Shakespeares Haus) eingedrungen und „diverse Bücher" und „sonstige wertvolle Güter" wurden entwendet.
Die Sammlungen des Shakespeare Birthplace Trust enthält zwei Bücher, die Shakespeare gehört haben könnten; eines davon ist Plutarchs Leben großer Griechen und Römer (1579 gedruckt). Das Exemplar könnte Lord Strange, 5. Graf von Derby, gehört haben, dessen Schauspielerensemble einige von Shakespeares frühen Stücken aufführte. Möglicherweise ist genau dies das Exemplar, das er bei der Abfassung seiner römischen Stücke benutzte. 1643 besuchte Königin Henrietta Maria (deren Gemahl Karl I. ein Bewunderer Shakespeares war) Stratford und erhielt von Susannah Hall eine Lebensbeschreibung von Katharina de' Medici, die vielleicht aus der Bibliothek ihres verstorbenen Vaters stammte.

Erwiderung

Alle Mutmaßungen („es wäre denkbar", „vielleicht", „möglicherweise") ändern nichts an der Tatsache, dass im Testament keine Bücher erwähnt sind. Damals wie heute wurden im Testament die wertvollsten Besitzungen aufgeführt; folglich muss man zumindest festhalten, dass Bücher diesem Testator nicht sonderlich wichtig waren.
Es werden auch keine Bücher beherbergenden Regale, Schränke oder Truhen erwähnt; keine Schreibtische oder Pulte, auf denen Bücher, Manuskripte, Dokumente, Briefe hätten gelesen oder geschrieben werden können; ebensowenig Landkarten oder Musikinstrumente - nichts von dem, was man üblicherweise mit einem Schriftsteller verbinden würde. Das erscheint sehr merkwürdig für den universal gebildeten Schriftsteller, der uns aus Shakespeares Werken entgegentritt.
Es ist wirklich sehr überraschend, denkt man an die große Anzahl und die oft seltenen Bücher, die Shakespeare als Quelle gedient haben. Viele dieser Bücher waren teuer, in Leder gebunden. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass derartige wertvolle Gegenstände nur im Inventar erfasst worden wären. Wäre das der Fall, so wäre ihr Wert gleichermaßen geschätzt worden wie Vieh-, Getreide- und andere Allerweltsbestände.
Hinzu kommt, dass eine Schenkung für die Ausbildung jugendlicher Personen nirgends zu verzeichnen ist! Er hinterließ Geldbeträge für insgesamt fünf Minderjährige, präzisierte jedoch nicht, wie es in Testamenten durchaus üblich war, dass dieses Geld für die Ausbildung aufzuwenden sei. Er besaß ein ansehnliches Vermögen, hinterließ jedoch keine Beträge für die Ausbildung irgendwelcher Personen in Stratford. Das Testament enthält auch keine Schenkung an die „grammar school" in Stratford, obwohl es doch diese Schule gewesen sein soll, die ihm gestattete, die Shakespearschen Werke zu schreiben, und dies in einer Zeit, das andere Leute aus den unteren Schichten, in ihren Testamenten solche Schenkungen für die Ausbildung von Mitgliedern ihrer Gemeinschaft vorsahen. Tatsächlich erreichten solche philanthropische Schenkungen im England des frühen 17. Jahrhunderts einen Höhepunkt (When Death Do Us Part, Arkell, ed). Ausgerechnet Shakespeare sollte eine Ausnahme gewesen sein? Der SBT soll aufhören zu behaupten, dass die Nichterwähnung von Büchern im Testament das einzige Problem sei.

- Bonner Miller Cutting, M.M., Unabhängige Forscherin; Vorstandsmitglied der Shakespeare Fellowship und der Shakespeare Authorship Coalition

Übersicht          zurück               weiter